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Home Politik

Die Wahlverlierer sollen eine Regierung bilden

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
4. Januar 2018
Verlierer

Es klingt fast wie beim Lotto: Sechs aus 39, könnte man das neue Spiel taufen. Dabei geht es nicht um ein Glücksspiel(oder doch ein bisschen?), wenn sich die Sondierer und Sondiererinnen aus CDU, CSU und SPD zusammensetzen, um nach langen Wochen des Wartens und Taktierens auszuloten, ob es am Ende wieder eine Große Koalition geben wird. Sechs, das sind die Chefs der Parteien, der Fraktionen und der Landesgruppe: Angela Merkel, Horst Seehofer, Martin Schulz, Volker Kauder, Andrea Nahles und Alexander Dobrindt. 39, das sind die jeweils 13 Politikerinnen und Politiker aus den drei Parteien. Nach dem ersten Treffen der Spitzen folgen ab Sonntag die Sondierungen, am Ende könnten Koalitionsverhandlungen stehen. Die SPD hat zusätzlich noch einen Sonderparteitag beschlossen, auf dem am 21. Januar im WCCB-Kongresszentrum in Bonn über das Ergebnis abgestimmt wird. Ende aus heutiger Sicht offen.

Dass es so kompliziert sein würde mit der Regierungsbildung, hängt natürlich auch mit dem Wahlergebnis am 24. September 2017-das war vor über drei Monaten-zusammen. Damals waren die Regierungsparteien der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD allesamt abgestraft worden. Merkels CDU fiel auf enttäuschende 26 Prozent zurück, das schlechteste Wahlergebnis nach dem Krieg, ähnlich erging es der CSU mit etwas mehr als 38 Prozent und die SPD schnitt nicht besser ab, sie erreichte gerade noch gut 20 Prozent. Ein Desaster, auch wenn die Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel das nicht wahrhaben wollte. Dass Martin Schulz ankündigte, die SPD gehe nun in die Opposition, war eigentlich konsequent, dass Merkel erklärte, sie könne „nicht erkennen, was wir jetzt jetzt anders machen müssen“, hat viel Unverständnis ausgelöst und zum Beispiel in den Reihen der CSU auch Empörung. Als wenn nur die CSU und die SPD verloren hätten, so der tief sitzende Ärger über die Macht-Arroganz der Kanzlerin.

Merkel ist mehr als umstritten

Überhaupt Angela Merkel. Sie ist längst nicht mehr unumstritten, ihre immer wieder betonte Alternativlosigkeit zu ihrer Politik stösst vielfach auf Unverständnis. Und zwar gilt das für ihre Innenpolitik genauso wie für ihre Rolle innerhalb der Europäischen Union, wo es ihr nicht gelang, die kleineren und mitteleuropäischen Partner auf ihren EU-Kurs in der Flüchtlingspolitik zu ziehen. Auch gegenüber Italien wie Griechenland war die EU-Politik alles andere als überzeugend, so wurde Italien in der Flüchtlingspolitik im Stich gelassen. Soviel zur Machtfrau Merkel.

In der innenpolitischen Debatte sind mehr Fehlanzeigen zu melden als Erfolge. Wo eigentlich ist das Rentenkonzept der CDU? Warum klappt das im benachbarten Österreich mit einer Grundsicherung von 1000 Euro, was den Absturz in Altersarmut verhindern würde, und warum wird das hierzulande nicht diskutiert? Die SPD verlangt eine Bürgerversicherung, ein neues System, das kompliziert sein mag, vielleicht auch falsch,. aber die nötige Debatte über die Gesundheitspolitik der Zukunft findet nicht statt. Wie überhaupt unter Merkel keine Grundsatzdebatten stattfinden! Die CDU ist mit Merkel verkümmert zu einer Partei ohne Gesicht, Inhalt, Herz. Der Bundesinnenminister de Maiziere plädiert für eine Leitkultur, dabei haben wir ein Grundgesetz, das beispiellos ist in der Welt. Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die Würde des Menschen heißt es da und nicht nur die Würde des Deutschen.

Dass in der Union über Merkel diskutiert wird, hängt auch mit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen zusammen. Merkel oblag die Führung der viel zu großen Mannschaft. Dass die FDP die Brocken hinwarf und ausstieg, wird auch der mehr als umstrittenen Verhandlungsführung der CDU-Chefin angelastet. Man muss FDP-Chef Christian Lindner nicht immer folgen, aber seine Kritik, dass Merkel sich vor allem für die Grünen interessiert und die FDP sich als fünftes Rad am Wagen betrachtet habe, trifft doch nach allem, was wir bis jetzt aus den Marathon-Gesprächen gehört haben, zu. Und noch ein Wort zur Alternative: Wer könnte denn Merkel ablösen? Jens Spahn bringt sich durch TV-Präsenz ins Gespräch, überzeugend ist das nicht. Genauso wenig ist von einer Julia Klöckner(45) zu halten, der CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz, die unentwegt die Öffentlichkeit sucht, um für sich zu werben. Aber wofür steht sie? Ursula von der Leyen hat als Verteidigungsministerin Spuren hinterlassen, denen man nicht folgen sollte. Einer, den man früher ins Gespräch gebracht hätte, hat sich im Sommer aus der aktiven Politik verabschiedet und sitzt der Konrad-Adenauer-Stiftung vor: Norbert Lambert, der langjährige Parlamentspräsident. Und nicht zu vergessen, Wolfgang Schäuble, der schon mal Kohl-Nachfolger werden wollte und der jetzt die Nachfolge von Lammert angetreten ist.

Seehofer und Söder geschwächt

Bei der CSU sieht es mit der Führungsstärke ihres Chefs Seehofer nicht besser aus. Monatelang hatte er versucht, seinen Kronprinzen Markus Söder daran zu hindern, ihn als Ministerpräsidenten abzulösen. Am Ende musste er sich beugen und die Macht teilen. Noch im Frühjahr wird Söder, der selber umstritten und durch den Streit innerhalb der CSU angeschlagen ist, neuer Regierungschef in Bayern werden. Horst Seehofer konnte sich gerade noch als Parteichef der CSU retten und möchte ein Ministeramt in einer schwarz-roten Bundesregierung übernehmen. Und wenn man CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hört, wie er mit Blick auf die kommenden Sondierungen auf die SPD losgeht, wie er über angeblich linke Meinungsvorherrschaft poltert- es fehlt noch der Klassiker Freiheit statt Sozialismus-, fragt man sich, ob Dobrindt überhaupt das Ziel einer Großen Koalition ernsthaft verfolgt oder mehr schon den nächsten Wahlkampf im Auge hat, wenn es im Herbst um die Landtagswahl im Freistaat geht. Dort will man die absolute Mehrheit verteidigen, was Tradition wäre in Bayern, aber aus heutiger Sicht und angesichts der fehlenden Geschlossenheit der CSU in weiter Ferne liegt, um nicht von Träumerei zu reden.

Dem Dritten im Bunde, SPD-Chef Martin Schulz, geht es kaum besser. Wer eigentlich kam damals auf die Idee, den früheren Präsidenten des Europa-Parlaments als Kanzlerkandidaten der SPD ins Rennen gegen Merkel zu schicken? Wer kam auf den Gedanken, ihn zum Parteichef der SPD zu küren? Ja, ich weiß, es war vor allem auch Sigmar Gabriel, der das Amt des SPD-Chefs auch deshalb auf-und an Schulz weitergab, weil er selber in der Partei durch war. Gabriel konnte machen und sagen, was er wollte, seine Kritiker nahmen es ihm übel. Seine Wahlergebnisse zum Vorsitzenden der ältesten deutschen Partei waren mehr als blamabel. Es stimmt ja, dass er sich vieles selber eingebrockt hat mit seinen ewigen Alleingängen und Poltereien, wenn er auf Widerspruch stieß, andererseits gibt es in der SPD nicht mehr so viele politische Talente mit der Qualität eines Gabriel. Was er kann, zeigt er seit Monaten als Außenminister, aber leider ist der Mann aus Niedersachsen beratungsresistent. Dabei galt er mal als Mann nach Schröder.

Schulz hat das Steuer nicht in der Hand

Zurück zu Schulz. Und damit zu einem wirklichen Problem der SPD wie der deutschen Politik. Nach dem anfänglichen Hype um den Schulz-Zug und andere ebenso falsche Bilder folgte der Absturz. Die 100 Prozent, mit der ein SPD-Parteitag Schulz einst auf den Thron gehoben hatte, sind längst verflogen. Sie waren ohnehin nicht echt. Nicht nur, dass man ihn anschließend nicht wollte im NRW-Wahlkampf, den wollte eine Hannelore Kraft allein bewältigen, ohne zu überlegen, wie alt ein Parteichef Schulz aussehen muss, wenn das bekannt wird. Und das wurde bekannt und Schulz ward fortan nur noch einer von außen, im Grunde ein Fremder, der weder die Partei noch die Innenpolitik und die damit zusammenhängenden Dinge kennt.

Er hatte nie das Steuer der SPD wirklich in der Hand und hat es auch jetzt nicht. Sein Verhalten nach dem Wahl-Desaster war teils verständlich, aber auch irgendwann unpolitisch. Und Er soll die SPD, die eigentlich keine große Koalition, sondern in die Opposition will, auf Kurs bringen, nach vorn, in eine Regierung mit der ebenso angeschlagenen Führung von CDU und CSU? Wenn Schulz genau hinhören würde, was in der SPD über ihn gesprochen wird, wenn er Freunde hätte in der Partei, die ehrlich zu ihm wären, würde er sich den Tort nicht antun. Denn die Nummer ist mindestens eine zu groß.

Hans-Jochen Vogel für Minderheitsregierung

Aber es muss ja keine große Koalition geben, auch wenn Merkel sie will. Einer der Großen der alten SPD, der frühere Partei- und Fraktionschef Hans-Jochen Vogel, inzwischen 91 Jahre alt, der Politik immer auch als Dienst am Menschen angesehen hat, der Oberbürgermeister war in München, Regierender Bürgermeister in Berlin, mal Bau-, dann Justizminister in den Kabinetten von Willy Brandt und Helmut Schmidt in den 70er, Oppositionschef in den 80er Jahren und Nachfolger des legendären Herbert Wehner war, hat übrigens gerade in einem Interview mit Süddeutsche.de für eine Minderheitsregierung plädiert. Warum eigentlich nicht?!

Bildquelle: pixabay, User Succo, CC0 Creative Commons

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Tags: BundestagCSUGroKoMerkelRegierungsbildungSchulzSeehoferSöderSPD
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