Es war gewiss Zufall, dass die beiden Landtagswahlen in Brandenburg und in Sachsen just an dem Tag stattfanden, als in Warschau und im Grenzörtchen Wielun des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939, 80 Jahre danach, gedacht wurde. Bundespräsidemt Frank-Walter Steinmeier senkte das Haupt und entschuldigte sich für die Verbrechen der Deutschen an den Polen, er tat das auch in polnischer Sprache. Und just an diesem 1. September stärkten viele Wählerinnen und Wähler ausgerechnet jene AfD, deren Spitzen-Vertreter wie Alexander Gauland die Zeit der Nazi-Terrorherrschaft über Europa für einen Vogelschiss in der Geschichte halten, oder einer wie der sächsische AfD-Landesvorsitzende Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das an die Ermordung von sechs bis sieben Millionen Juden durch die Nazis erinnert, als eine Schande abtut.
Wer vom „Schuldkomplex“ daherredet, versucht das Schreckliche auf eine erbärmliche Art zu verdrängen, als ginge ihn das alles nichts an. Das eine hätte normalerweise mit dem anderen nichts zu tun, aber so einfach ist das nicht. So einfach dürfen wir uns das nicht machen und wir müssen dieser AfD und ihren Anhängern den Spiegel vorhalten.
80 Jahre ist das her, eine lange Zeit, aber die Verbrechen sind nicht vergessen, auch wenn einige meinen, sie könnten sich darüber hinwegsetzen. In einem Europa, in dem Nationalisten ihr übles Geschäft verrichten, und in dem das neue Deutschland eine wichtige Rolle spielt, kann das nicht „ad acta“ gelegt werden. Es stimmt ja, was man schon zu des Kanzler Kohls Zeiten sagte, wir, die Deutschen seien von Freunden umzingelt. Jahrzehnte vorher, als die Nazis in Deutschland herrschten und diese Diktatur über fast ganz Europa ausdehnten, waren wir der Feind, für die Polen, die Franzosen, die Engländer, Holländer, die Russen und so weiter. Es war Nazi-Deutschlands Schuld, dass am Ende große Teile Europas in Schutt und Asche lagen. Daran zu erinnern und sich zu entschuldigen, mag dem einen oder anderen schwerfallen, es muss sein. Dass dabei auch Reparationsforderungen erhoben werden, zu Recht oder Unrecht, damit müssen wir leben.
Es war und ist gut und richtig, wenn einer wie der Bundespräsident diese Reisen an Orte unternimmt, die an deutsche Gewalt erinnern, Europa ist voll von solchen Orten, seine Demut tut gut, es tut gut, wenn er zeigt und betont, dass die Deutschen ihrer Verantwortung gerecht werden. Gerade, weil es die AfD gibt mit ihren rassistischen, fremdenfeindlichen und nationalistischen Tendenzen. Der Blog-der-Republik hatte aus Anlass des 80.Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen einen Beitrag geschrieben, der mit dem Verbrechen des Bombardements auf das völlig unbewaffnete Wielun in den Morgenstunden des 1. September 1939 begann. In diesem Text war auch über die Pläne der Nazis berichtet worden, was sie mit den Polen und später mit den Russen vorhatten: dass sie sie versklaven wollten. Und dass bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Millionen Juden, Priester, Lehrer, überhaupt Gebildete ermordet wurden, die polnische Intelligenz sollte es nicht mehr geben, dies alles stand in unserem Blog. Darüber zu schreiben, an die Gräueltaten der Nazis, der SS und der Wehrmacht, die nicht die gute war, zu erinnern, das halten wir für eine Pflicht. Der Bundespräsident tat dies auf seine Weise und mit großer Würde.
Kümmerer sind gefragt
Die Frage wurde schon des öfteren gestellt und sie bleibt aktuell, warum denn so viele Wählerinnen und Wähler aus dem Osten für die AfD gestimmt haben. Ob das mit den Unzufriedenen zu tun hat, mit denen, denen man es nie Recht machen kann, mit dem Heer der typischen Nörgler, das in Deutschland besonders groß ist, auch wenn es wohl kaum ein Land in Europa gibt, in dem es den meisten Menschen, man spricht von rund 80 Prozent der Bevölkerung, überwiegend gut geht? Ich weiß es nicht. Richtig ist, dass die AfD als Partei gegen das sogenannte System antritt, früher hätte man vom Establishment gesprochen, heute ist es das System, das bekämpft wird. Populisten setzen da an, reden das System und alles damit zusammenhängende schlecht. Und wenn man dann nicht gegenhält, weil man nicht informiert ist, haben die Populisten schon gewonnen.
Gerade las ich die Kolumne von Annette Kurschuss, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, in der Zeitschrift „“chrismon“. Unter der Überschrift „Das riskante Spiel mit der Angst“ beschreibt Frau Kurschuss, wie heutzutage Stimmung gemacht wird und dabei die Wahrheit hinterherhinkt. Die „gefühlte Wahrheit“ kümmere kein Faktencheck, Fake News geisterten durch die Medien, „der Klimawandel sei erfunden, um Forschungsgelder zu ergaunern und Menschen ihrer Bewegungsfreiheit zu berauben“. Politiker würden zu Marionetten abgestempelt, Marionetten geheimer, vermutlich zionistischer Mächte. Der Staat sponsere Flüchtlingen ein Handy und zahle jedem 700 Euro Weihnachtsgeld. Die Liste des Unsinns ließe sich leicht fortsetzen.“ Wörtlich Annette Kurschuss.
Dieses Spiel mit der Wahrheit, von der AfD in Wahlkämpfen auch jetzt wieder im Osten betrieben, lebt davon, dass AfD-Politiker einfach Dinge behaupten, die der Zuhörer nicht gleich widerlegen kann, weil er es nicht besser weiß. Die neuen Rechten spielen mit gesellschaftlichen Ängsten, das haben sie immer schon gemacht, sie setzen die Unsicherheiten ihrer Zuhörer voraus „und senden falsche Tatsachenbehauptungen als alternative Fakten in die Welt. So befeuern sie Ressentiments gegen Klima-Gretas, Kopftuchmädchen und Lügenjournalisten“. Schleichend beeinflusse solche Propaganda unsere Wahrnehmung, schreibt Annette Kurschuss weiter. Das sei ein Spiel mit dem Feuer, weil es das gesellschaftliche Klima vergifte und das Misstrauen in unsere demokratische Kultur stärke.
Faktencheck und Wahrheit
Frau Kurschuss empfiehlt: Informieren und kommentieren, statt nachplappern. „Der Faktencheck“ sei und bleibe „unsere Aufgabe“, er stärke die demokratische Debattenkultur und die Wahrheit selbst. Und dann setzt sie noch auf „Hope statt Hate“, dafür brauche es eine gesellschaftliche Kultur des Vertrauens und der Zuversicht statt Nörgelei und Untergangsstimmung. Ob sich damit aber erweist, dass Lügen wirklich kurze Beine haben, auch wenn sie derzeit auf Stelzen durch die Welt laufen?“
Ein Ansatz könnte hier sein, was die beiden Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen in den letzten Wahlkampfwochen praktizierten und dies mit Erfolg. Beide, Woidke und Kretschmer, verließen die klassische Arena, gingen vor Ort zu den Bürgern, hörten ihnen zu, erfuhren, wo der Schuh drückt und redeten mit ihnen über ihren Alltag. Das brachte Nähe und ein Stück weit Glaubwürdigkeit zurück. Sie traten als Kümmerer auf, die nicht die eigene Karriere in den Vordergrund stellten, sondern sich um die Nöte der Menschen kümmerten. Dabei konnten sie -anders als das AfD-Politiker tun, in dem sie alles schlechtreden- mit ihrer Kompetenz punkten, sie wirkten authentisch, sowohl in der Diskussion wie beim Braten von Würstchen.
Bodenhaftung nannte das früher Johannes Rau, der langgediente Ministerpräsident, der den Job des Politikers in Wuppertal als Oberbürgermeister von der Pike auf gelernt hatte. Als NRW-Ministerpräsident besuchte er in einer Legislaturperiode alle Wahlkreise des bevölkerungsreichsten Landes und gewann einmal sogar die absolute Mehrheit. Er war bei den Menschen, die spürten das, er sprach ihre Sprache, er kümmerte sich um sie. Runter vom Podium, raus aus den Staatskanzleien muss das Motto für die Politiker heißen. Nur so können sie erfahren, was die Leute draußen von ihnen halten, was sie sich wünschen, nur so können sie ihre Politik erklären und verkaufen. Der Schlechtredner, der Populist hat dann weniger Chancen.
Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei