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Deutschland ist stabil, aber die Krisen rücken näher

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
31. Dezember 2014
Deutschland ist stabil, aber die Krisen rücken näher

Das Jahr 2014 geht zu Ende, ein Jahr, in dem viel erinnert wurde an die Schlachten von gestern und vorgestern. Der Beginn des Ersten Weltkrieges, von unseren Nachbarn der Große Krieg genannt, stand im Mittelpunkt vieler Betrachtungen, 100 Jahre, nachdem er ausgebrochen war. Ausgebrochen, weil viele damals gezündelt haben und manche glaubten, einen solchen Krieg mal eben so nebenbei führen zu können, man werde ja Weihnachten wieder zu Hause sein. Das Ergebnis ist bekannt, Jahre dauerte das Schlachten und Abschlachten, Millionen Tote forderte dieser sinnlose Krieg, dessen Beginn zunächst in Deutschland gefeiert worden war, ja auch und besonders von den Intellektuellen, den Malern und Schriftstellern, den Studenten, den Repräsentanten der Kirchen, die ihre Kanzeln gelegentlich dazu missbrauchten, den Krieg zu verherrlichen und den Gegner zu dämonisieren.

75 Jahre nach den ersten Schüssen auf die Danziger Westerplatte am 1. September 1939 gedachte die Welt dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, von nicht wenigen auch die Fortsetzung des ersten Kriegs genannt, weil der und der Friedensschluss 1918 die schlimmen Voraussetzungen geschaffen hatte für das, was 20 Jahre später folgte und in einem Desaster 1945 endete.

Wir haben dieser Ereignisse in Deutschland und in Europa gedacht. Und wir haben zugleich den 25. Jahrestag des Falls der Mauer im geteilten Deutschland gefeiert, dem die deutsche Einheit folgte. Der Eiserne Vorhang ging zu Bruch, der Warschauer Pakt löste sich auf, die Sowjetunion zerfiel in viele Teile und u.a. zurück blieb Russland. Das Ende des Kalten Krieges wurde gefeiert, Europa, so dachten nicht wenige, gehe einem ewigen Frieden entgegen. Der Feind war abhandengekommen, so träumten wir, kein West-Ost-Konflikt mehr.

Der Krieg ist zurück

Und jetzt, Ende 2014? Der Kalte Krieg ist zurück oder schlimmer, der Krieg ist zurück, er steht nicht weit von den Grenzen der EU, wir können ihn hören.  Die Illusion, die Europäer, besser wir alle, die ganze  Welt, hätten aus den Kriegen gelernt, diese Illusion ist zerplatzt, wie der im Sommer verstorbene Peter Scholl-Latour in seinem letzten Buch“ Der Fluch der bösen Tat“ schreibt. Das ist es wohl. Scholl-Latour bezeichnet das, was sich in der Ukraine abspielt, als den „absurdesten Territorialkonflikt“, ausgerechnet dort, wo es im Zweiten Weltkrieg mit die blutigsten Schlachtfelder gab.

Wie es heute dazu kommen konnte, welche unleidliche Rolle die USA auf dem Maidan gespielt haben, dass sie immer noch ihre Hegemonie-Rolle im Kopf haben und Putins Russland, einst in Form der UdSSR der große Gegenspieler in der Welt, nur noch als Regionalmacht abtun, was den Kreml-Chef beleidigen muss? Warum der Westen alle seine Versprechungen in Richtung Moskau schlichtweg über Bord warf? Keinen Fußbreit wollte die Nato auf den Boden des einstigen Warschauer Paktes setzen. Schon vergessen?

Auch die Deutschen, Helmut Kohl hat das vor Monaten noch einmal bestätigt, auch Hans-Dietrich Genscher hat daran erinnert, haben Michail Gorbatschow Garantien gegeben, ehe er die DDR freiließ für den Vereinigungsprozess mit der Bundesrepublik. Die Truppen der Roten Armee auf dem Gebiet der DDR wurden abgezogen,immerhin eine halbe Million Soldaten. Ohne einen Schuss abzugeben, wurde der Kalte Krieg beendet, die  Mauer und der Eiserne Vorhang waren Geschichte. Gut, die deutsche Bundesregierung hat dafür bezahlt, für den Rücktransport und den Bau von Wohnungen für die heimkehrenden Soldaten.

Versprechen der Politiker wurden nicht eingehalten

Es waren mündliche Versprechen, an die der weit gereist und welterfahrene einstige Journalist Scholl-Latour in seinem Buch erinnert, ein Versprechen, wonach ein „Beitritt der Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes zur Nato ausgeschlossen bliebe“. Er zitiert, was ein Chor der Roten Armee bei der großen Truppenverabschiedung in Berlin damals gesungen hat, unter Leitung des „betrunkenen Jelzin“: „Deutschland, wir reichen dir die Hand, wir kehren zurück ins Vaterland.“ Und was ist aus den Versprechen geworden? Die früheren Ostblock-Staaten von Estland bis Bulgarien sind auf Betreiben der unsäglichen USA-Präsidentschaft unter George W. Bush- genau, der den Irak-Krieg vom Zaun brach- in das Atlantische Bündnis integriert.

Und nunmehr klopft die Ukraine an die Tür der EU und der Nato, beginnend mit einem Angebot eines Assoziierungsabkommen zwischen Kiew und Brüssel. Und da wundern wir uns, wenn Putin sich eingekesselt, isoliert, an die Wand gedrückt fühlt, wenn er nach der Krim greift und sie annektiert? Dort liegt seine Schwarzmeer-Flotte. Musste er nicht Angst haben, dass nach einem möglichen Beitritt der Ukraine zur Nato das westliche Verteidigungsbündnis auf der Krim seine Zelte aufschlägt, gemeint, seine Truppen stationiert? Mit allem drum und dran. Die Nato ist ein militärisches Bündnis und nicht die Caritas.  Wir im Westen sind die Guten und die Russen die Bösen? Wollen wir zurückgreifen auf Sprachregelungen aus der Zeit von Ronald Reagan.

Noch einmal Peter Scholl-Latour. „Man muss kein Putin-Versteher sein, um nachzuempfinden, dass das Angebot einer Wirtschaftsassoziation der Ukraine mit der Europäischen Union im Kreml als Vorstufe einer Ausdehnung der NATO nach Osten über den Dnjestr und Dnjepr hinaus empfunden wird“.

Der Westen muss mit Putin reden

Putin wird die Krim so leicht nicht wieder aus der Hand geben. Und wie eine Lösung über die Ostukraine aussehen kann, die  sich von Kiew lösen will, das weiß niemand. Es muss weiterverhandelt werden, immer wieder. Der Westen muss Putin ja nicht mögen, aber der ist nun mal der mächtige Mann im Kreml. Die russische Wirtschaft zu schwächen, um Putin zu treffen, ihn kleinzukriegen, damit er dahergekrochen kommen möge, das wird nicht funktionieren. Russland ist nicht Deutschland. Und was wäre denn erreicht, wenn man Putin zu Fall brächte? Wer kommt dann? Ist eine Instabilität dieses Riesen-Reichs nicht ungleich gefährlicher?

Was wir brauchen, ist ein neuer Anlauf in der Entspannungspolitik, die an diesen Kurs von Willy Brandt anknüpft, ein Kurs, der aus Misstrauen Vertrauen werden ließ, der aus den Feinden von einst Freunde machte. Deeskalation muss das Ziel sein, nicht Eskalation. So lange geredet wird, wird nicht geschossen. Frank-Walter Steinmeier sollte sich an die Maximen der Politik seines einstigen Parteifreundes erinnern, der keine Mühen scheute und sich für nichts zu schade war, wenn es darum ging, Frieden zu schaffen. Der Friede ist der Ernstfall, so hat es der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann mal ausgedrückt.

Respice finem, bedenke das Ende. Die Politik sollte diese Weisheit im Kopf haben. Oft genug haben die Amerikaner einfach drauflosgeschlagen, ohne zu bedenken, was danach kommt. Man denke an den Irak oder auch an Afghanistan. Was ist erreicht worden? Es hat viele Tote gegeben, die Taliban sind nicht besiegt. Aus Angst vor Anschlägen wurde der Abzugs-Termin der ISAF-Soldaten erst kurz vor Beginn der Aktion bekanntgegeben.  Sich nicht eingestehen zu wollen, dass der aufwändige Einsatz „zutiefst enttäuschend“(Scholl-Latour) und die ISAF-Truppe am Hindukusch eine „blamable Schlappe erlitten hat“(Scholl-Latour), heißt doch nicht, dass das Unternehmen von Erfolg gekrönt war.

Eine Welt aus den Fugen

Die Welt ist aus den Fugen geraten, Krisen und Katastrophen bestimmten oft genug das Bild des Jahres 2014. Gaza, Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien, die Ukraine, die Krisen-Plätze in Afrika mit dem lebensgefährlichen Ebola-Virus, die Terroristen-Truppe Islamischer Staat, die Menschen einfach ihre Köpfe abschlägt, um nur einige Beispiele zu nennen. Dass auch Deutschland von diesen unruhigen Entwicklungen nicht unberührt bleibt, machen die Flüchtlingszahlen deutlich. 200000 Menschen flohen vor Not und Krieg nach Deutschland. Und bei uns formiert sich unter der Leitung von Neonazis und deren Sympathisanten eine so genannte Pegida-Bewegung, die uns weismachen will, dass wir von einer Islamisierung der Republik bedroht seien, von einer Überfremdung.

Ihren Ausgang nahmen diese von rassistischen Vorurteilen und fremdenfeindlichen Sprüchen gelenkten Proteste ausgerechnet in Dresden, wo der Anteil der Muslime unter einem Prozent liegt und der Prozent-Satz der Migranten überhaupt bei unter zwei Prozent. Wer da mitmarschiert, muss wissen, vor welchen braunen Karren er sich spannen lässt, dass er Fremdenfeinden Beifall klatscht.

Ein Hort der Stabilität

Wie es aussieht, werden weitere Flüchtlinge nach Deutschland strömen, das als ein Hort der Stabilität gilt, wirtschaftlich wie auch politisch, wenngleich es an den Rändern zu Ausfransungen kommt. Die Mehrheit der Deutschen steht bereit, um den Flüchtlingen zu helfen, die Spendenbereitschaft ist groß, schon hat sich auch eine Gegenbewegung gebildet, die wie in Bonn sich den Fremdenfeinden entgegenstellt. Bonn  stellt sich quer. Die ehemalige politische Hauptstadt hat ihr wahres Gesicht gezeigt: Offen und tolerant, bunt will die Stadt am Rhein sein, international. Diese Willkommenskultur wünschte man sich, dass die Republik sie demonstrativ zeigen würde. Deutschland ist ein Einwanderungsland, wir wollen keine neue Mauer. Wie heißt es in unserem Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar- nicht nur die Würde des Deutschen.

 

 

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