Am nächsten Sonntag wird im Freistaat Bayern gewählt. Zwei Wochen danach wird die Landtagswahl in Hessen stattfinden. Die Umfragen für die CSU und CDU sehen nicht gut aus, die für die SPD indessen noch viel schlechter. 33 oder selbst 36% für Söder und seine Christsozialen wären ein bisher nie erlebter Absturz, für die gefühlte „Staatspartei“ eine wahre Katastrophe. Schon vor dem Urnengang der bayerischen Wähler wird die Frage intoniert, wer die Schuld an der CSU-Misere trägt. Söder und seine Gebirgsschützen zielen auf Berlin, auf Merkel und die Große Koalition, allen voran jedoch auf ihren Parteivorsitzenden und Bundesinnenminister Horst Seehofer.
Rumoren in der Unionsfraktion
Die jüngsten Rangeleien um die Migrationspolitik und wohl auch um die Entschädigung der von den Herstellerfirmen betrogenen Diesel-Autofahrer waren in der Tat keine Ruhmesblätter der Berliner Großkoalitionäre. Die Bundeskanzlerin ist mehr und mehr ins Feuer geraten. Die blinde Gefolgschaft ihrer eigenen Parteisoldaten ist vorbei: Fast wie ein Menetekel an der Unionswand wirkt da die Verweigerung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Merkels Wunschkandidaten Volker Kauder nochmals zum Vorsitzenden zu wählen. Die Mehrheit der Abgeordneten setzt nun auf Ralph Brinkhaus, der die Fraktion vom Diktat des Kanzleramtes und mit mehr Beweglichkeit die Union aus der Erstarrung befreien will. Wie schon einige ihrer Vorgänger praktizierte die Kanzlerin eine Art von Präsidialsystem und operierte vielfach am Parlament vorbei – etwa in der Währungs- und auch in der Migrationspolitik. Die gewählten Volksvertreter mussten ihn ihren Wahlkreisen für manche Entscheidungen den Kopf hinhalten – zuletzt auch für die Fehler, die in der Causa Maaßen gemacht wurden.
Union im Sinkflug, SPD im Tief
Richtig gelungen ist dieser Großen Koalition bislang noch gar nichts. Bei allen Vorhaben, die auf die Schiene gebracht werden, gibt es ein zermürbendes und aufgeregtes Gezerre sowohl zwischen CDU und CSU als auch zwischen Union und SPD. Niemand darf sich da wundern, dass sich die Union bundesweit im Sinkflug befindet und etwa bei der Sonntagsfrage gerade noch 27% erreicht. Nicht wenige Unionschristen befürchten, das gleiche Schicksal wie die SPD zu erleiden, die mit 17% auf einen neuen Tiefstpunkt gesunken ist. Die Grünen (16%) und die AfD (16%) sind die Profiteure dieses Niederganges der einst wirklich großen Volksparteien.
Drohende Pleite für die CSU?
Die Berliner Großwetterlage wirkt sich auch auf die Länder aus. Obwohl gerade Bayern und Hessen bislang solide regiert wurden und wirtschaftlich gut dastehen, wird das von den Bürgern in der politischen Einschätzung nicht besonders honoriert. Denn ihnen brennen die Probleme Migration, Wohnen, Bildung, Alterssicherung, Verkehr und soziale Gerechtigkeit auf den Nägeln. Diese Probleme haben alle bundespolitischen Bezug und sind kaum allein von den Ländern zu lösen. Doch aus Frust und Verdruss werden die Union und SPD vorrangig von den Wählern abgestraft. Daraus erklärt sich der Sturz der CSU auf 33% und der SPD auf nur noch 11% in Bayern, während in Hessen die CDU in den Umfragen auf 29% und die SPD auf 23% kommen. In beiden Ländern dürfte die Koalitionsbildung gleichermaßen schwierig werden: In Bayern könnten die Grünen 18%, die FDP 6% und die Freien Wähler 11% erreichen. In Hessen könnten die Grünen ebenfalls mit 18% abschneiden, die FDP mit 6%, die Linke mit 8%.
GroKo als Stimmungskiller
Derweil übt die CDU-Bundesvorsitzende Selbstkritik und übernimmt eine Mitverantwortung an den zweifellos schlechten Umfragewerten. Der andauernde Streit in ihrer Regierung habe -so Merkel- zu der miesen Stimmung beigetragen, zumal die Wähler vielfach nicht einmal verstünden, was überhaupt der Inhalt des Streits sei: Mehrfach hat sie -ebenso wie andere Politiker der Bundesregierung- wiederholt verkündet, was die Koalitionäre alles tun müssten; doch die klaren Antworten, die Strategie, der Kurs und die Entscheidungen lassen weiter auf sich warten. Deutschland tritt politisch auf der Stelle, die Regierungskunst ist erstarrt, die großen notwendigen Weichenstellungen für die mutige Gestaltung einer guten Zukunft lassen auf sich warten, werden verzögert und vertagt. Das könnte sich schon bald rächen, sollte der fast ein Jahrzehnt andauernde Wirtschaftsaufschwung erlahmen oder sich gar stärker abschwächen. Ohnehin war und ist die Partizipation an der Wohlstandszunahme recht unterschiedlich und ungleich. Bei Nullzinsen für Sparguthaben, bei einer Inflation von rund 2% und höheren Belastungen -etwa durch die Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung- ergibt sich für viele Millionen Bürger kaum ein reales Plus bei den Einkommen, auch wenn Politiker der Großen Koalition in ihren Reden oft genug das Gegenteil behaupten und als ihre Leistungen groß preisen.
Sturm im Wasserglas der CDU
Die lange Zeit latente Kritik an Angela Merkel als Bundesvorsitzende der CDU wird mehr und mehr auch in aller Öffentlichkeit laut. Einige Heckenschützen aus der Union wagen gar die Offensive. So redet der einstige Umweltminister und jetzige Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen „von inhaltlicher Erschöpfung, nicht von personeller“ und hält eine Begrenzung der Amtszeit für Regierungschefs für sinnvoll. Es würden in der Union „überwiegend unproduktive Scheindebatten“ geführt; es gebe „oberflächliche, rein taktische Reflexe, die den Bürger nicht erreichen“. Etwas moderatere Töne sind von Gesundheitsminister Jens Spahn, von Carsten Linnemann, dem Führer des Mittelstandes, oder auch von Paul Ziemiak, der gerade zum Vorsitzenden der Jungen Union wiedergewählt wurde, zu vernehmen.
Es ist mehr ein Sturm im Wasserglas, denn fast niemand nennt eine echte Alternative zu Angela Merkel. Die neue CDU-Generalsekretärin, Annegret Kramp-Karrenbauer, kam aus der Landesliga des Saarlandes und muss sich erst noch im Berliner Haifischbecken zurechtfinden. In ihren öffentlichen Auftritten geriert sie sich wie eine Bauchrednerin von Angela Merkel, zudem ohne Empathie und Charisma. Auch der andere aus dem Saarland, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, ist zwar politisch in der Bundesliga seit längerem aktiv, ohne jedoch weder als Umwelt- noch als Kanzleramts- und schon gar nicht als Wirtschaftsminister wirklich Glanztaten zu vollbringen. Bei der Fortschreitung der Sozialen Marktwirtschaft und damit in der Nachfolge von Ludwig Erhard tut er sich jedenfalls sehr schwer. Ohnehin wird spekuliert, dass Altmaier lieber auf den Sessel des EU-Kommissars Oettinger im nächsten Jahr nach Brüssel wechseln wolle.
Manche wünschen sich gar Friedrich Merz als Nachfolger, doch er hat sich längst aus der Politik mehr oder weniger verabschiedet und außerdem früher nie eine Funktion als Parteiführer ausgeübt. Von den CDU-Ministerpräsidenten wird auch Daniel Günther aus Schleswig-Holstein hin und wieder genannt; er führt dort eine Jamaika-Koalition. Doch letztlich wäre wohl nur Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ein veritabler Kandidat für das Merkel-Erbe in der CDU. Laschet regiert seit Mai 2017 das Land an Rhein und Ruhr mit einer schwarz-gelben Koalition recht erfolgreich und könnte als Spitzenkandidat aufgebaut werden.
Merkel weiterhin an der CDU-Spitze
Im Dezember wird Angela Merkel zunächst nochmals für den CDU-Bundesvorsitz kandidieren. Der neue Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, hat ihr die volle Unterstützung zugesagt. Echte Konkurrenten sind nicht in Sicht und werden auch nicht gegen Merkel antreten. Sie liegt im Vergleich zu den SPD-Spitzen Nahles und Scholz bei Umfragen weit vorn. Gewiss, sie wird die CDU reformieren und mobilisieren müssen und zwar mit vielen Impulsen, konkreten Zielvorgaben und mutigen Neuorientierungen. Daran haben es ihre parteiinternen Kritiker bislang fehlen lassen – auch diejenigen, die mit den traditionellen Parteidefinitionen für die CDU durch die Welt wandeln. Was vor allem fehlt, das sind realistische Botschaften und politische Taten, um Wähler, die nach rechts der Mitte aus Frust und Verdruss abgewandert sind, wieder für die Union zurückzugewinnen und möglichst zu begeistern. Das Schicksal der SPD sollte der Noch-Volkspartei mehr als eine Warnung sein. Angela Merkel wird auf dem nächsten Bundesparteitag erneut mit einem guten Ergebnis gewählt. Die meisten Delegierten, allen voran die MdB´s der CDU, setzen auf sie, um mit ihr Wahlen zu gewinnen. Dennoch muss der Blick auf 2021 und danach gerichtet werden: Das gilt für die programmatische Ausrichtung, für die Definition und Standortbestimmung der CDU und für die personelle Erneuerung gleichermaßen. Nach den Wahlen in Bayern und Hessen dürfte es im Unionslager auf jeden Fall heiß hergehen und turbulenter werden.
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