Die SPD, man muss es mal neben aller berechtigten Kritik sagen, hat es schwer. In Umfragen im Keller, kaum einer traut ihr noch was zu, Mitglieder verlassen die Partei, die Medien lassen kaum ein gutes Haar an der ältesten deutschen Partei. Aber es gibt auch ein wenig Hoffnung: Rolf Mützenich, der kommissarische SPD-Fraktionsvorsitzende, hat die Parteifreunde mit seiner Berliner Reichstagsrede überzeugt, souverän sei das gewesen, sehr gut. Und der eine oder andere kann sich vorstellen, dass „Mütze“, wie sie ihn nennen, den Job des Fraktionschefs auch für die Zukunft behält. Und noch etwas sei erwähnt, weil es selten ist in diesen schwierigen Zeiten für die Volkspartei SPD: der Verleger des wenn auch kleinen „Straubinger Tagblatts“ sprach von einer „Sternstunde der Sozialdemokratie“.
Und in der Tat: Was ist eigentlich dagegen zu sagen, wenn der Fraktionschef der SPD im Bundestag daran erinnert, das Mandat des IS-Einsatzes am 31. Oktober enden und nicht verlängern zu lassen? Nach immerhin fünf Jahren. Und was ist an einer Partei wie der SPD zu kritisieren, wenn derselbe Mützenich in scharfer Form die neue Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer daran erinnert, dass das Budgetrecht beim Bundestag liegt. „Und keine internationale Organisation kann sich das anmaßen.“ Und was Mützenich später den Parteifreunden und Gegnern entgegenruft, haben die Sozis mit Beifall quittiert. Er ist gegen das Zwei-Prozent-Ziel, was US-Präsident Trump dem Bündnis abtrotzen will. Will sagen: Es reicht. Und er scheut sich auch nicht, Trump einen Rassisten zu nennen. Damit hat er doch Recht. Und deswegen muss niemand Mützenich vorwerfen, er wolle die Koalition verlassen.
Rolf Mützenich, Kölner Bundestagsabgeordneter und Außenpolitiker der SPD seit Jahren, kann sich hier mit seiner Position in guter alter Gesellschaft, in der Tradition der SPD fühlen, die immer ein mindestens misstrauisches Auge auf eine zu militarisierte Außenpolitik geworfen hat. Willy Brandt zum Beispiel. Es gefällt einem wie Mützenich nicht, dass die neue Chefin des Wehrressorts sich allzu lauthals zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato bekannte, was ihn, Mützenich an den „Tanz um das goldene Kalb“ erinnere. Richtig ist, das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2024 auf eine Größenordnung der Verteidigungsausgaben von 2 Prozent der Wirtschaftskraft zuzubewegen. Die Bundesregierung hat der Nato zugesagt, bis zum genannten Zeitraum 1,5 Prozent Zuwachs bei den Verteidigungsausgaben zu erreichen. Davon ist man zur Zeit weit entfernt. In einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“ betonte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels(SPD), niemand plane eine zwei-Prozent-Bundeswehr. Bartels stufte die entsprechenden Erklärungen der neuen CDU-Ministerin als „Pokern in Tarifverhandlungen“ ein. Sie fordere „tapfer mehr, damit am Ende genau die 1,5 Prozent, auf die man sich in der Koalition geeinigt hat, auch wirklich herauskommen.“
Den richtigen Ton gefunden
Die Bundeswehr plant offensichtlich mit diesen 1,5 Prozent, was schon ambitioniert ist. Bartels zufolge bedeuteten die 1,5 Prozent eine Steigerung der Ausgaben von knapp drei Milliarden Euro pro Jahr mehr bis 2024. Damit käme man auf einen Etat der Verteidigung von insgesamt 58 Milliarden Euro. Würde man wirklich die genannten 2 Prozent umsetzen wollen, würde das den Wehretat auf 77 Milliarden Euro im Jahr 2024 ansteigen lassen. „Illusorisch“, so der Wehrbeauftragte.
Auffallend die heftige Kritik in einigen Medien am Verhalten der SPD. In der SZ-Wochenendausgabe titelt das Münchner Blatt seinen Aufmacher auf der Seite 1 mit „Koalition der Unwilligen“. In der Unterzeile heißt es dann: Die Bundesregierung wirke außenpolitisch gelähmt, gleich, ob man die Iran-Krise nähme, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato oder den Anti-IS-Einsatz. „Eine zunehmend rebellische SPD stellt sich gegen ihren eigenen Minister“. Gemeint Heiko Maas im Außenamt. Und der wird zitiert mit dem Satz: „Auf unsere Zusagen ist Verlass“, hatte Maas im April anlässlich der 70-Jahr-Feier der Nato versichert. Daran darf gezweifelt werden, zumindest wenn damit die zwei-Prozent gemeint sein sollten.
Rolf Mützenich jedenfalls scheint in den Augen nicht weniger Sozialdemokraten den richtigen Ton gefunden zu haben. In Zeiten wie diesen, die für die SPD schwierig genug sind, wirkt der Autritt des Kölner SPD-Außenpolitikers wie eine Aufmunterung, eine Aufforderung, sich der Debatte um die Zukunft des Landes und der Partei hoch erhobenen Hauptes zu stellen. Der mitgliederstarke NRW-Landesverband dürfte hinter Mützenich stehen, gleiches gilt für die einflussreiche NRW-Landesgruppe im Bundestag. Man rechnet damit, dass „Mütze“ in den Sommerferien darüber nachdenkt, wie es weitgehen soll mit der Fraktion. Manche hoffen auf den Verbleib des Kölner Sozialdemokraten an der Spitze der Fraktion.
Schwarz und Grün- das Traumpaar
Auffallend in den letzten Wochen die Kritik in den Medien an der SPD. Die Union und die Grünen, das neue Traumpaar nicht weniger Medien in Berlin und München, werden dagegen geschont. Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz, das ist die neue Koalition, dafür bieten sich dann Treffen zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und seinem Grünen Amtskollegen aus Baden-Württemberg, Wilfried Kretschmann an. Die peinliche Niederlage des Bundesverkehrsministers Scheuer(CSU) in der Maut-Angelegenheit, die er ja vom CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, seinem Amtsvorgänger geerbt hat, spielt keine Rolle mehr in den Medien. Eigentlich hätte Scheuer gehen müssen.
Auch die künftige Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, darf auf Milde der Journalisten setzen. Sie bereist gerade die Mitgliedsstaaten der Union, um die Stimmung auszuloten und für ihre Arbeit zu werben. Oft ist die Rede von der erfahrenen Politiikerin, der überzeugten Europäerin, davon, dass sie angeblich eine starke Rede gehalten habe. Aber in den Leserbriefspalten von Zeitungen finden sich durchaus kritische Töne. Sie habe das schwammige nichtssagende Diplomaten-Sprech schnell gelernt. Als Dank für die Stimmen der rechtskonservativen polnischen PiS-Partei und der Partei Viktor Orbans eiere sie herum, wenn sie mit Gemeinplätzen wie „keiner ist perfekt“ und „volle Rechtsstaatlichkeit ist unser Ziel“ vom rechtsstaatlichen Irrweg in Ungarn und Polen spreche.
In der Tat gehört zum Fundament der Europäischen Union der Grundsatz voller Rechtsstaatlichkeit. Und Warschau und Budapest gehören seit 15 Jahren der EU an, sie sind also nicht neu an Bord. Warum soll hier ein Auge zugedrückt werden? Der Holländer Frans Timmermans, im Rennen um das EU-Präsidentenamt unterlegen, hatte diese Mängel in Polen und Ungarn angemerkt, was ihm die Polen und Ungarn verübelten und Stellung gegen ihn bezogen mit dem bekannten Ausgang. Ursula von der Leyens Bemerkungen „Nobody is perfect“ wirken geradeso, als wollte sie augenzwinkernd das Problem verharmlosen. Dabei sind gerade in den Augen der Opposition in Warschau und Ungarn die Frage der Bürgerrechte und der Rechtsstaatlichkeit wichtige Errungenschaften des neuen Polen und des neuen Ungarn nach dem Ende der kommunistischen Diktaturen. Dass dies jetzt heruntergespielt wird, wirft ein grelles Licht auf die Europäische Union und ihre künftige Präsidentin. Die Opposition fühlt sich im Stich gelassen. Kein gutes Signal für ein Europa, das zerstritten wirkt wie nie zuvor.
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