Krisen sind Bewährungsproben für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In Zeiten der Bedrohung und Verunsicherung ist die Versuchung der Regierenden groß, die Macht an sich zu reißen und sich der demokratischen Kontrolle zu entledigen. Wachsamkeit tut not, damit Freiheiten nicht unwiederbringlich verloren gehen.
Der ungarische Premier hatte leichtes Spiel. Das Parlament in Budapest hat mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit ein Notstandsgesetz verabschiedet, mit dem Viktor Orban nun per Dekret schalten und walten kann. Seine autokratischen Gelüste hat er schon vor der Coronakrise nicht verborgen. Jetzt nutzt er die Gunst der Stunde, und die Abgeordneten machen sich selbst überflüssig, und zwar zeitlich unbefristet, sprich: solange es dem Premier gefällt. Die ohnehin schwache Opposition ist praktisch ausgeschaltet. Die Verbreitung von „Falschinformationen“ wird mit Gefängnisstrafen bedroht. Eine solche Vorschrift macht Kritiker mundtot.
In Polen plant die nationalkonservative Regierungspartei PiS, zu Deutsch zynischerweise „Recht und Gerechtigkeit“, mit ihrem Krisengesetz einen Coup zum eigenen Machtausbau. Jaroslav Kaczynski ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Orban und wittert in der Krise die Chance, die im Mai anstehende Präsidentschaftswahl zugunsten von Amtsinhaber Andrzej Duda zu manipulieren. Verfassungsrechtler halten das für unzulässig und argumentieren, dass eine Wahl ohne Wahlkampf ungültig sein werde. Doch Kaczynski scheren solche Einwände nicht, und mit der Kontrolle des Obersten Gerichts bringt ihn womöglich nicht einmal mehr die letzte Instanz des Rechts zur Vernunft.
Deshalb ist dringend die Europäische Union gefragt, den autoritären Tendenzen Einhalt zu gebieten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat allen Grund, entschlossen zu handeln, schon um dem Verdacht entgegenzutreten, sie könnte aus Dankbarkeit für ihre Wahl ein Auge zudrücken. Aus Brüssel muss ein klares Stoppsignal kommen, auch damit anti-demokratische Begehrlichkeiten nicht weiter um sich greifen. Wenn die EU in der Krise versagt, wird sie danach kaum noch von Bedeutung sein.
In Nordrhein-Westfalen zeigt die Opposition der schwarz-gelben Landesregierung gerade die demokratische Haltelinie auf. Die Fraktionen von SPD und Grünen lehnen es ab, im Eilverfahren einem Sondergesetz zuzustimmen, mit dem Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) weitreichende Kompetenzen an sich ziehen will. „Wir sind in einer Gesundheitskrise, nicht in einer Demokratiekrise“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Kutschaty. Ein Parlament dürfe seine Kernkompetenzen nicht aufgeben. Der Landtag sei handlungsfähig.
Der Hausärzteverband Nordrhein wandte sich beispielsweise entschieden gegen die vorgesehene Zwangsverpflichtung von Ärzten. Der WDR zitierte den Mediziner Oliver Funken, der von einem „Ermächtigungsgesetz“ sprach und sagte: „Wir kriegen das auch freiwillig hin. Wir brauchen ein solches Gesetz nicht.“ Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, fast auf den Tag genau vor 87 Jahren, hatte Hitler das Parlament entmachtet und die Demokratie endgültig zerstört.
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