Immer wieder ist jetzt zu hören und zu lesen, die Corona- Krise sei eine Herausforderung. Herausforderung ist ein Modewort. So wie das Wort „Causa“ plötzlich aus allen Griffeln und Tastaturen quillt, so ist das zurzeit die Herausforderung. Es ist so, als ob eine „Wording“- Agentur einen Zauberstab geschwungen habe, so dass dieses Wort nun in den Köpfen herum spukt.
Nein, die Corona- Krise ist kein Achttausender, den Mensch erklettern will. Die Corona- Krise ist Aufgabe und Prüfung – vor allem für jeden Einzelnen. Es geht um Prüfung, um dieses altmodische Wort, das wie aus einem Roman von Thomas Mann klingt, nicht um eine Herausforderung.
Was derzeit herausfordert, das ist eine teils unsägliche Schriftsprache, die sich mit Corona-Virus und dessen Folgen beschäftigt. Beispiel Münchner Merkur am 21. März: „Bayerns Kliniken vor dem Sturm“, war in der Zeitung zu lesen; und als ob das noch nicht hinreichend aufreizend sei, hatte jemand im unmittelbaren Anschluss daran getextet: „Wenn die Corona-Epidemie voll in Bayern ankommt, stehen die Krankenhäuser und Pflegeheime im Feuer.“ Sturm und Feuer – es fehlt noch der Feuersturm, den ein Virus- (Bomben)Hagel auslöst. So etwas sollten wir lassen.
Jeder und jede müssen gewohntes Verhalten ablegen, sich also ändern. Das bedeutet: Die Krise unterwirft die Menschen der Frage: Darf ich dies und jenes noch tun oder darf ich das nicht mehr. Und zwar unterwirft sie die Menschen einer Verhaltensänderung auf unbestimmte Zeit. Sie prüft mich zum Beispiel, ob ich mich neuen Regeln unterwerfe oder nicht; sie prüft, ob der Verstand mich leitet oder nicht. Sie prüft, ob ich in der Lage bin, einen neu- strukturierten Tagesablauf zu verwirklichen, weil aus meinen antrainierten Ablauf Teile geschnitten wurden. Das ist der Kern.
Wir sind übrigens nicht wehrlos in dieser Situation. Wir können Risiken begrenzen, weil wir die Natur dieser Prüfung kennen. Edgar Allan Poe hat 1842 in seiner Erzählung „Die Maske des roten Todes“ die Wehrlosigkeit gegenüber einer Pandemie, einer Krise lebhaft beschrieben. Obwohl sich Fürst Prospero in dieser Geschichte mit den Seinen von der Welt abtrennt, erwischen ihn die Bakterien des roten Todes. Kein Absondern und keine Distanz halten die Strafe, den Pest-Tod auf. So sah man das damals.
In unserer heutigen Situation fangen wir an (wahrscheinlich tut jeder und jede das auf seine Weise), Soll und Haben gegeneinander zu stellen: Was geht nicht, was verliere ich, auf Zeit oder endgültig, was kehrt nicht wieder zurück? Dem stellen wir das „Haben“ gegenüber.
Auf der Haben-Seite stehen hocheffiziente Forschung und Wissenschaft, Kenntnis der Natur von Bakterie und Virus, Kenntnisse der Gegenwehr.
Auf der Haben- Seite steht ferner der Staat mit Gewaltenteilung, Verantwortung, Kontrolle, Mitsprache. Ich habe keinen Zweifel, dass Legislative und Exekutive nach Ende der Krise wieder zurückkehren zu den vollen und ungeschmälerten Bürgerrechten.
Auf der Habenseite steht für mich auch – und nicht zuletzt – der Sozialstaat. Er ist für mich eine Institution, die verlässlich ist. Rentenrecht, solidarische Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung mit ihren Lohnersatzleistungen funktionieren und können in der Krise rasch ausgeweitet und angepasst werden. Anders gesagt: Während in diesen Wochen Einkommen sinken, weil Produktion und Dienstleistung absacken oder beendet werden, hält der Sozialstaat seine Leistungen – ja, er fügt in der Krise neue Leistungen hinzu.
Der Sozialstaat ist gewiss unüberschaubar und manchmal ist er auch etwas langsam. Das hat der Paritätische Wohlfahrtsverband nun erlebt: Am 21 März empörte sich deren Geschäftsführer Ulrich Schneider darüber, das der Paritätische nicht unter den Corona- Schutzschirm falle, am 22. März teilte derselbe Verband mit, er habe gehört, dass sich der Schutzschirm doch auch über ihm wölbe („Lösung auf gutem Weg“). Es geht also rasch im Sozialstaat, wenngleich nicht mit Überschallgeschwindigkeit. Ob wir alle mit Optimismus in die nähere Zukunft blicken können, kann ich nicht sagen. Wir haben aber auf unserer Seite „Pfunde“, mit denen wir wuchern können. Dazu gehört nicht zuletzt der zivile Charakter der Gesellschaft in der wir leben. Das ist ein ungeheurer Vorteil. Setzen wir den nicht aufs Spiel.
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