Die SPD kann doch noch Wahlen gewinnen. Dies zumindest steht wenige Stunden nach Schließen der Wahllokale in Niedersachsen fest. Erstmals seit fast 20 Jahren ist die SPD unter Führung ihres Ministerpräsidenten Stefan Weil wieder stärkste Partei in Niedersachsen geworden. Dies ist schon eine Überraschung, weil sich Weils SPD damit abgekoppelt hat vom negativen Bundes-Trend der SPD. Verlierer der Wahl ist die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Bernd Altusmann. Die vorgezogene Neuwahl war nötig geworden, weil die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten sich der CDU angeschlossen hatte, nachdem die Grünen ihr den Listenplatz verweigert hatten.
Jubel bei der SPD, Enttäuschung bei der CDU, die ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959 erreichte. Für die SPD war dies der erste Wahlgewinn in diesem Jahr, nachdem sie zuvor drei Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, in NRW und vor wenigen Wochen die Bundestagswahl klar verloren hatte. Für die CDU war der Ausgang der Wahl im Norden ein ziemlicher Rückschlag, vor allem für Angela Merkel, die Kanzlerin und CDU-Chefin, die insgesamt fünfmal im Wahlkampf in Niedersachsen aufgetreten war, aber ganz offensichtlich die Stimmung zu Gunsten ihrer CDU nicht mehr wenden konnte. Im Gegenteil: Die Talfahrt hält an. Nur weil die SPD bei der Bundestagswahl noch schwächer abschnitt, hofft sie, ihre Kanzlerschaft fortsetzen zu können. Ein Programm hat sie nicht.
Martin Schulz konnte endlich jubeln
Martin Schulz, der unglückliche SPD-Chef, hatte endlich Grund zum Jubeln. Ob der Sieg in Hannover allerdings reichen wird, um seine Stellung in der Partei langfristig zu sichern, wird man abwarten müssen. Der SPD-Chef hatte in den letzten Monaten zu viele Zweifel an seiner Kompetenz aufkommen lassen. Die Diskussion um seine Führungsfähigkeiten ist nicht beendet.
Der Sieg der SPD im Norden bestätigte, dass ihr Kandidat im Vergleich zum CDU-Herausforderer bürgernaher war, sympathischer, glaubwürdiger und sogar in der Frage der Wirtschafts-Kompetenz ein Plus aufweisen konnte. So war das zum Beispiel im Streit um VW. Auch in der Schulpolitik konnte CDU-Kandidat Altusmann nicht punkten, schließlich war er selber Kultusminister in der CDU-Regierung bis 2013 und damit für Teile der schulischen Misere verantwortlich. Dass die wirtschaftliche Lage in Niedersachsen ziemlich gut ist, erwies sich als weiterer Vorteil für den Amtsinhaber. Und dann kam noch der Parteiwechsel von Frau Twesten dazu, ein Vorgang, den Weil als Intrige bezeichnet hatte, an der die CDU des Landes mitgewirkt habe. Ob dieser Vorwurf zutrifft? Selbst in CDU-Kreisen war die Meinung zu hören, so was tut man nicht.
Grüne verloren viele Stimmen
Die SPD konnte in den letzten Wochen die Stimmung im Lande drehen. Noch Anfang August hatte die CDU in Umfragen einen Vorsprung von 12 Prozent. Vor allem der Einsatz von Stephan Weil hat wohl den Ausschlag gegeben, sodaß die SPD am Ende die verloren gegangenen Sympathien vieler Wähler zurückholten konnte, auch unter den Arbeitern im Lande, auch die Nichtwähler konnte Weils SPD stärker für sich gewinnen. Eine erste Analyse ergab, dass 100000 Grüne dieses Mal der SPD die Stimme gegeben haben, Weil konnte auch 50000 CDU-Stimmen auf seine Seite ziehen.
Die AfD schaffte den Einzug in den Landtag, holte aber nur rund sechs Prozent der Stimmen. Auch und gerade in Niedersachsen ist die rechtspopulistische und rassistische Partei in sich zerstritten. Keine andere Partei will mit ihr etwas zu tun haben. Es gibt Richtungskämpfe, Mitglieder verlassen die AfD. Selbst in ihren Hochburgen schaffte die rechte Partei gerade mal so um die neun Prozent, in Sachsen und Bayern hat die AfD bei der Bundestagswahl teilweise über 20 Prozent der Stimmen bekommen. Auch die anderen kleinen Parteien spielten im Wahlkampf keine große Rolle. Es war eine harte Auseinandersetzung zwischen der SPD und der CDU, FDP, Grüne, Linke, die im übrigen den Sprung nicht in den Landtag geschafft haben, spielten eben nur eine Nebenrolle und entsprechend haben sie alle weniger Stimmen erhalten als bei früheren Wahlen. Es konzentrierte sich fast alles auf die beiden Volksparteien.
Weil will Rot-Grün
Stephan Weil hatte von Anfang an auf die Fortsetzung der Koalition mit den Grünen gesetzt. Ob es dafür reicht, war am Sonntagabend unklar. Hochrechnungen ergaben gegen 20 Uhr, dass es knapp für Rot-Grün reichen könnte. Die FDP hatte immer schon eine Ampel mit SPD und den Grünen ausgeschlossen. Als Möglichkeit galt und gilt natürlich auch eine große Koalition. Andererseits: Niedersachsen hat Erfahrung mit knappen Mehrheiten. Schon Gerhard Schröder regierte 1994 mit einer Stimme Mehrheit, ähnlich knapp war es, als Stephan Weil 2013 gewählt wurde. Eine Stimme hatte er mehr, bis Frau Twesten die Seiten wechselte.
Ob die Niedersachsen-Wahl weitere Auswirkungen haben wird, ob sie die bald beginnenden Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und den Grünen beeinträchtigen wird, ist eine Frage. Gerade die Politiker von CDU und CSU hatten die Gespräche über eine mögliche Jamaika-Koalition in Berlin vertagt wegen der Niedersachsen-Wahl. Nun haben sie sich kräftig in den Finger geschnitten. Vor allem Angela Merkel verspürt nicht den gewünschten Rückenwind für ihre künftige Arbeit. Es könnte noch ungemütlich werden für die Kanzlerin, weil ihre selbstgefällige Ruhe und ihr Kommentar der schweren Verluste der CDU bei der Bundestagswahl vor wenigen Wochen, sie habe im Grund nichts falsch gemacht und wisse nicht, was sie anders machen solle, auch viele Parteifreunde verärgert hatte. Es könnten stürmische Herbstwochen werden.
Bildquelle: Wikipedia, T. Rademacher, CC BY-SA 3.0