Die Spannung legt sich, Routine kehrt ein. Der Prozess der Regierungsbildung endet Mitte März mit der Wahl der Bundeskanzlerin und der Ernennung ihres Kabinetts. Seit der Bundestagswahl ist dann fast ein halbes Jahr vergangen. Soviel politische Debatte war selten, auch soviel Erkenntnis.
Die Sondierungsgespräche für eine erste Schwarz-Gelb-Grüne Koalition auf Bundesebene scheiterten. Mit den Grünen und – vor allem – den Liberalen war kein Staat zu machen. Eine Minderheitsregierung erschien der Bundeskanzlerin als zu gewagt. Neuwahlen galten als die schlechteste aller Lösungen. Die Neuauflage der Großen Koalition, die niemand außer der geschwächten Angela Merkel (CDU) und der in Bayern abgehalfterte Horst Seehofer (CSU) wirklich wollte, drängte sich auf, und die SPD fügte sich. Nach gründlicher innerparteilicher Auseinandersetzung lässt sie sich – wie so oft in der Geschichte der Bundesrepublik – in die Pflicht nehmen.
Zwei Drittel der Mitglieder stimmten zu. Das sind zehn Prozent weniger als beim Basisvotum 2013, doch gerade genug, um die Sozialdemokraten in Merkels Kabinett mit dem nötigen Rückhalt auszustatten. Zugleich wiegt das Drittel an Nein-Stimmen so schwer, dass der Druck zur Erneuerung der SPD aufrechterhalten bleibt: inhaltlich an ihren Grundwerten von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ausgerichtet, personell ohne Lagerkämpfe und Postenschacher, in der Regierung aufrecht, profiliert, selbstbewusst.
Vor allem: wachsam für die Gefahren, die eine Große Koalition für die parlamentarische Demokratie birgt. Soll die AfD als stärkste Kraft in der Opposition nicht am Ende als Gewinnlerin dastehen, muss die Regierung als Ganze mehr soziale Gerechtigkeit herstellen. Kinder- und Altersarmut sind ebenso eine Schande wie Renten und Einkommen, die zum Leben nicht reichen.
In der Verantwortung für gerechtere Lebensverhältnisse stehen die Sozialdemokraten nicht allein, aber aus ihrer Tradition ganz besonders. Es wird ein Innenminister aus Bayern mit noch so viel Überwachung und Deutschtümelei den Skandal nicht beseitigen, dass Kinder hierzulande ein Armutsrisiko sind, dass Menschen ohne die Tafeln nicht satt zu essen haben, dass Armut krank macht und die Lebenserwartung verkürzt, dass die Herkunft eines Kindes über den Bildungserfolg entscheidet, dass Frauen schlechter entlohnt werden als Männer, dass Menschen ihren Lebensabend in unwürdigen Bedingungen verbringen.
Die Ausgangslage der SPD wird durch mehrere Faktoren begünstigt. Angela Merkel, die ohnehin nicht mit Gestaltungskraft überzeugte, geht in ihre wohl letzte Amtszeit. Sie hat in ihrer eigenen Partei einen schweren Stand; ebenso wie CSU-Chef Horst Seehofer, der kürzlich selbst seine innerparteiliche Demontage beklagte. Eine initiativreiche SPD kann sich da als kleiner Partner durchaus hervortun, zumal sie mit den sechs Ministerien, darunter Außen und Finanzen, gewichtige Ressorts mit entsprechender Außenwirkung übernimmt.