Bundesgesundheitsminister Spahn hat vor wenigen Tagen einen Mindestlohn von 14 Euro pro Stunde für Pflegekräfte angeregt. Ich nutze vorsichtig das Verb anregen. Er hat diese beiden Ziffern mit dem Hinweis verbunden, dass so 2500 € Entgelt je Monat möglich würden. Er hat seine Auffassung dann differenzierter dargelegt: Unterschiedliche Mindestlöhne für angelernte Pflegekräfte und für Fachkräfte der Pflege. Ferner könne es regional unterschiedliche Mindestlöhne geben.
Nachdem ich das gelesen hatte, rief ich die Pflegedienstleitung eines Altenheims an, weil ich wissen wollte, was man dort von Gesundheitsminister Spahns Idee halte. Dachte mir, dass diese Idee Zustimmung auslösen würde.
Das war aber nicht so. 2500 Euro Monatsentgelt als Richtgröße, wie Spahn es vorschlage, seien für das von ihr geleitete Alten- und Pflegeheim ein Witz. Das in mitten der Stadt und in einem kleinen Grüngürtel gelegene Altenheim mit jetzt nahezu ausschließlich Einzelzimmern bezahle rund 3000 Euro an eine Fachkraft. Plus Extras wie zum Beispiel ein geleastes Automobil. Spahn ziele offenkundig auf die Löhne und Gehälter in Thüringen oder Sachsen mit durchschnittlich 2100 Euro im Monat für Fachkräfte. Schaue man sich Spahns Idee genauer an, sei man nur noch verwirrt. Und zur Begründung wies die Frau auf den geltenden Mindestlohn.
Der wird im kommenden Jahr für angelernte und Fachpflegekräfte bei 11, 35 Euro liegen. Der geltende Mindestlohn differenziert nicht. Das ist die Festlegung der Pflege-Mindestlohn- Kommission beim Bundesarbeitsminister. Sie frage sich nun, wie es komme, dass die Kommission dies beschließe und der Gesundheitsminister jenes sage. Wer denn nun den Hut aufhabe? Mit der Idee von den unterschiedlichen Mindestentgelten nach Ausbildung und Region sei überhaupt nicht zu vereinbaren, dass es einen bundesweit geltenden, verpflichtenden Tarif geben solle. Den wollen Arbeitsminister Heil und Seniorenministerin Giffey.
Den Tarif will die Bundesregierung über ein erst im Juni von ihr verabschiedetes Gesetzesvorhaben erreichen. Wenn der Tarif wider Erwarten nicht zu haben sei, sollen neue, später für alle Pflegebetriebe verbindliche Lohnuntergrenzen eingezogen werden – aber von Heils Mindestlohn-Kommission und nicht vom Gesundheitsminister. Das alles ist in der Tat verwirrend.
Das eigentliche Problem der augenblicklichen Diskussion steckt noch wo anders. Dazu muss man sich die Gepflogenheiten in anderen Bereichen des Gesundheitswesens vor Augen halten. Müssen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte eine neue Leistung in das Kassenrepertoire aufnehmen, wird sofort mehr abgerechnet. Müssen die Kassen mehr leisten für die Mitglieder, werden rasch höhere Beitrage verlangt. Das gilt überall, nur in der Pflege gilt das nicht.
Seit vielen Jahren werden die Kosten von Krankheit der Pflegebedürftigen von der Pflegekasse beziehungsweise von den Mitgliedern der Pflegeversicherung bezahlt. Es sind eigentlich Kosten, die die Krankenversicherungen bezahlen müssten. Das erwähnte, im Juni verabschiedete Gesetz wird dazu führen, dass einige Milliarden Euro an Löhnen und Gehältern mehr gezahlt werden müssen. Aber eine Finanzierung fehlt. Und Spahns 14 Euro die Stunde sind ebenfalls nicht finanziert.
Es kann folgendes geschehen: Der Gesetzgeber erzwingt über Tarif oder höhere Lohnuntergrenzen eine attraktivere Bezahlung in der Altenpflege. Da diesen Kosten keine höheren Beiträge zugeordnet wurden, müssten die Pflegebedürftigen einspringen. Da viele aber nur noch ein Taschengeld von 100 und einigen Euro zur Verfügung haben, muss die Sozialhilfe stärker einspringen. Pflege und andere Sozialsysteme sind eben genau betrachtet Systeme miteinander kommunizierender Röhren: Dreht man hier einen Hahn stärker zu, muss an anderer Stelle ein Hahn aufgedreht werden.
Und in der Pflegerealität dauern die Dinge. Vergangenes Jahr hat der Gesetzgeber 13000 zusätzliche Pflegestellen verabschiedet und sogar finanziert. Aber bis die Pflegekassen in die Gänge gekommen sind und entsprechende Anträge mit ihren Stempeln versehen haben, verstreichen die Monate. Jetzt sind grade mal eben 2300 neue Pflegestellen bewilligt, fand das Magazin Fakt heraus. Das hat auch eine “systemische“ Komponente. Die Pflegeeinrichtungen erhalten nur dann neue Stellen, wenn sie die Fachkräftequote von 50 Prozent einhalten. 30 000 Fachpflegerinnen und Fachpfleger fehlen aber bereits bundesweit – vorsichtig geschätzt. Und die die zu haben sind, gehen für 3000 Euro arbeiten statt für 2100. So kannibalisiert sich die Pflege selbst. Geld scheint also in der Pflege sehr wichtig zu sein. Aber nicht alles. Ohne ordentliche Ordnung geht es nicht.
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