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Zurück zu den Wurzeln: Nahles kritisiert eigene Partei – SPD braucht einen eigenen Kurs

Das klingt zunächst mal komisch, wenn die Partei- und Fraktionschefin der SPD die Politik ihrer eigenen Partei kritisiert. Es klingt schon einsichtiger, wenn sie darauf hinweist, dass es falsch ist, wenn die SPD versucht, die Grünen zu imitieren.  Diese Kritik hätte Andrea Nahles schon viel früher äußern müssen. Und sie darf sich  nicht nur auf die Asylpolitik beziehen, die ein wichtiger Bereich ist und in der aktuellen Flüchtlingsdebatte eine herausragende Rolle spielt. Überhaupt muss für die große und älteste deutsche Partei gelten, dass sie in allen Fragen eigene Antworten geben kann, sie sollte niemanden kopieren. Denn die Leute wählen lieber das Original als den Ableger.

Um noch ein paar Gedanken zur Asylproblematik zu verwenden: Gerade die SPD wäre vor dem Hintergrund ihrer Geschichte gefordert, Position zu beziehen. Man schaue nach bei Carlo Schmid, einem der Verfassungsväter nach dem Zweiten Weltkrieg, man lese nach bei Willy Brandt, der vor den Nazis nach Skandinavien floh, um sein Leben zu retten. Oder man nehme einen wie Erich Brost, den viele vergessen haben, der aber ein alter Sozialdemokrat und Journalist aus Danzig war und der über mehrere Stationen im Ausland schließlich in England Asyl erhielt, wo er von London aus über die deutsche BBC die Stimme gegen die Nazi-Barbarei erhob. Später erhielt Erich Eduard Brost von der „Military Government-Germany“ unter der Nummer 192 die Lizenz für die Herausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, besser unter dem Kürzel WAZ bekannt. Nur zwei von vielen Namen der SPD, die in die Geschichte eingegangen sind.

Diese Geschichte der SPD ist fürwahr berühmt, voller Schicksale, voller Leiden. Die SPD hat das Sozialistengesetz von Bismarck mit dem Verbot ihrer Partei genauso überlebt wie die schweren Nazi-Jahre und auch die Zeiten in der SED-Diktatur der DDR, keine angenehmen Jahre. Oft wurden ihre Mitglieder verfolgt, denunziert, gejagt, verhaftet, gefoltert, eingesperrt, ermordet. Eine Geschichte, die man nicht einfach im Archiv irgendwo im dunklen Keller ablegen darf, sondern die immer wieder erzählt werden muss, damit sich nicht wiederholt, was der SPD und anderen passierte, die um und für Freiheit kämpften. Nicht verstehen kann ich die Meldung, dass diese SPD unter ihrer Vorsitzenden Andrea Nahles die Gelder für die Historische Kommission kürzen will. Geschichtsvergessen kann man das nennen.

Kampf für die Interessen der Arbeiter 

Wenn die SPD nach Themen sucht, um die Wählerinnen und Wähler, die ihr abhanden gekommen sind, wieder zu gewinnen, sollte sie bei ihrer Geschichte anfangen. Die SPD als die Partei der Arbeiter, die die Interessen der kleinen Leute vertritt und für sie kämpft. Da wäre ein großes Thema die Mieten in vielen Städten, die kein normaler Mensch mehr bezahlen kann. Es reicht nicht,  Mietobergrenzen einzuführen.  Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum, den es in München, Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Köln, Hannover, Bonn, Nürnberg  oder Augsburg kaum noch gibt. Wie gesagt, ich rede von Mieten, nicht vom Kauf einer Wohnung. Es muss endlich verhindert werden, dass ältere Häuser freigezogen werden-so heißt das üble Wort, wenn man Mieter rausdrängt aus ihren vier Wänden-, damit sie nobel saniert werden. Bezahlbarer Wohnraum, das ist ein Menschenrecht. Wer nicht anständig wohnen kann, haust in irgendwelchen Kammern, die man nicht als Wohnung bezeichnen kann. Ja, das ist ein harter Kampf. Aber den muss Frau Nahles beginnen, mit harten Bandagen. Es wird Jahre dauern, bis die Fehlentwicklungen auch im sozialen Wohnungsbau endlich beseitigt werden.

Es reicht nicht, irgendwelche Papiere zu formulieren, auf denen Forderungen stehen. Das haben die Menschen dick. Sie wollen, dass gehandelt wird, dass ihnen geholfen wird. Es fehlt nicht an Geld,  in der Bundeskasse liegen Milliarden Euro. Der Verdruss vieler Bürgerinnen und Bürger über die Politik resultiert aus dem Gefühl heraus, dass man nichts für sie tut, dass Ungleichheit herrscht in nicht wenigen Bereichen. Und es ist schlimm, wenn der Normalverdiener, der Tag für Tag arbeitet, feststellen muss, dass es nicht reicht für eine ordentliche Wohnung, ich rede hier nicht von einem Luxus-Appartement.

Anderes Beispiel Mindestlohn.  Er ist zu niedrig angesetzt und reicht  nicht für die Miete einer Wohnung samt Nebenkosten. Er  reicht nicht für einen Urlaub, für ein Auto, für die Bildung und Ausbildung der Kinder. Hier etwas Entscheidendes zu ändern, kostet Geld, viel Geld, das aber vorhanden ist. Es wird nicht einfach,  eine Reform durchzusetzen, die den Namen verdient. Ohne Kampf wird es nicht gehen.  Kampf auch in der großen Koalition. Die SPD muss den Streit suchen mit der CDU, der CSU über diese sozialen Themen.

Der kleine Mann ist oft der Dumme

Oder nehmen wir den Diesel-Skandal, den eindeutig die Hersteller der Autos zu verantworten haben. Die Hersteller haben zugelassen, dass Diesel produziert wurden, die nicht so sauber waren, wie man das dem Verbraucher weisgemacht hatte. Man hatte eine Software manipuliert, um zu mogeln, zu betrügen. An der Spitze VW, Milliarden Dollar haben sie schon in den USA für ihre Diesel-Betrügereien zahlen müssen, weitere Klagen laufen oder folgen. Warum eigentlich wird der deutsche Verbraucher nicht entschädigt, warum soll der deutsche Diesel-Fahrer für den Betrug der Manager von VW, Mercedes, Audi und all die anderen blechen? Es ist ein starkes Stück,. wenn plötzlich von Fahrverboten die Rede ist. Denn wieder mal wäre der kleine Mann der dumme. Warum eigentlich? VW, Mercedes, Audi usw. müssen verpflichtet werden, die laufenden Diesel entsprechend umzurüsten, sie müssen dafür bezahlen, nicht der Kunde, der Handwerker, der im guten Glauben einen Diesel gekauft hat, weil er davon ausging, ein sparsames Auto erworben zu haben. Das ist ein Thema, das sie Leute aufregt, zu Recht auf die Palme bringt. Und wenn man dann noch liest, wie Herr Winterkorn abgefunden worden ist, allein welche Betriebsrente ihm  Monat für Monat überwiesen wird. Dass jetzt sogar die Rede ist von Millionen, die der frühere VW-Chef in die Schweiz transferiert haben soll, mag der normale Zeitgenosse kaum glauben.

Dann wäre da noch der Kampf gegen die Rechtspopulisten der AfD, der Kampf auch gegen Fremdenfeinde, Islamfeinde, der Kampf gegen Menschen, die es darauf anlegen, andere Politiker lächerlich und das geltende parlamentarisch-demokratische System verächtlich zu machen.

Der Kampf für das vereinte, demokratische Europa, in dem es seit über 70 Jahren keinen Krieg gegeben hat, sondern Frieden herrscht und Wohlstand, in dem sich niemand vor einem zu großen und mächtigen Deutschland mehr fürchten muss, nicht die Franzosen, nicht die Polen, niemand. Und doch wird dieses Europa von seinen Feinden infrage gestellt, drohen nationalistische und rassistische Kräfte, die Stabilität dieses Europa ins Wanken zu bringen.

Partei in einer Existenzkrise

Andrea Nahles ist die erste Frau, die die SPD führt.  Die neue Partei-Chefin wurde mit gerade mal 66,35 Prozent ins Amt gewählt, in ein schweres Amt. Sie steht in der Nachfolge berühmter Vorgänger wie Kurt Schumacher, Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel. Die einstige und sehr erfolgreiche Volkspartei ist zu einer Partei geschrumpft, die um Platz Zwei hinter der Union zu kämpfen hat und die zum Beispiel bei den Landtagswahlen in Bayern im Oktober eine schwere Niederlage befürchten muss. Und auch in Hessen, wo die SPD viele Jahre regierte, droht erneut die harte Oppositionsbank.  In NRW, lange von der SPD dominiert mit Politikern wie Johannes Rau, hat sie vor Jahr und Tag eine böse Schlappe erlitten. Und in  Berlin sieht es nicht viel besser aus, der Regierende Bürgermeister Müller(SPD) macht keine gute Figur. Frau Nahles  wird die Ärmel hochkrempeln und erklären müssen, warum die Menschen wieder SPD wählen sollen. Denn das ist klar: Die SPD steckt in einer Existenzkrise.

 

Bildquelle: flickr,SPD Schleswig-Holstein, CC BY 2.0

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


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