Die heißen Tage dieses Sommers sind vorbei. Politisch wurde zwar weiterhin über die Migration diskutiert, ohne das Problem friedensstiftend zu lösen. Die CSU setzt nun eigene Grenzpolizisten ein. Ministerpräsident Söder besuchte öffentlichkeitswirksam eine Station, betonte jedoch dabei, dass auch Bayern unter der Oberaufsicht der Bundespolizei steht. Ansonsten haben Söder, Seehofer, Dobrindt und andere CSU-Lautsprecher inzwischen „Kreide gefressen“; in der Migrationspolitik werden nun die zuvor üblichen Verbalradikalismen vermieden.
CSU unter 40 %
Dazu beigetragen haben gewiss die aktuellen demoskopischen Befunde mit Blick auf die Wahl am 14. Oktober im Freistaat Bayern. In Umfragen dazu liegt die CSU gerade noch bei 37 bis 38 %; ein solches Ergebnis würde zum Erdbeben im Voralpenland führen. Vereinzelt machen sich schon CSU-Leute aus der Provinz auf die Suche nach möglichen Koalitionspartnern, denn kaum noch jemand glaubt an die absolute Mehrheit. Einige wenige CSU-ler reden gar von einem Zusammengehen mit der AfD, die in Bayern die zweitstärkste Kraft werden könnte. Denn die SPD dürfte bei der Landtagswahl bestenfalls 12 % plus einen Bärwurz erreichen und damit im Parteieneinlauf auf Platz 4 landen.
Seehofer – der Sündenbock?
Die CSU-Granden in München machen sich derweil schon auf die Suche nach dem Sündenbock für die drohenden Verluste. Ob er es will oder auch nicht, Horst Seehofer wird diese Rolle spielen müssen. Sein Wirken in Berlin im Innenministerium war bislang ohne positive Impulse für seine Partei, deren Vorsitzender er ist. Sein umfangreicher migrationspolitischer Masterplan wirkte nicht gerade meisterlich und schon gar nicht als Faszination für potenzielle CSU-Wähler. Söder, Seehofer und ihre Partei hätten durchaus mit großen Erfolgen in ihrem Land mit „Laptop und Lederhose“ bestens punkten können: Die bayerische Wirtschaft ist in Topform. Es herrscht Vollbeschäftigung; für viele tausend Jobs sind kaum Arbeitskräfte zu finden, es sei denn solche aus anderen EU-Ländern oder Migranten. Bayern ist führend beim Strukturwandel, vor allem auch bei der Digitalisierung, in Forschung und Entwicklung von Innovationen. Weniger schmeichelhaft fällt die Wohnungsbaupolitik aus: In München sind ebenso wie in einigen anderen bayerischen Städten die Mieten explodiert; Wohnungen zu bezahlbaren Preisen sind für Normalverdiener kaum noch zu finden. Fraglich ist, ob hier das von der CSU so sehr favorisierte Bau-Kindergeld helfen wird – vielleicht im Bayerischen Wald und der Oberpfalz, doch gewiss nicht in den Ballungszentren.
Duell von Karrenbauer und Spahn
Die CDU-Generalsekretärin, Annegret Kramp-Karrenbauer, wollte in diesem Sommer den Ballon „Dienstpflicht“ für junge Menschen steigen lassen. Doch schon wenige Millimeter über dem Boden war die Luft raus. Denn zum einen ist Angela Merkel, die CDU-Bundesvorsitzende, gegen die Wiederbelebung der ausgesetzten Wehrpflicht, zum anderen gibt es längst den Bufdi, den Bundesfreiwilligendienst, für den sich jedoch nur relativ wenige Jugendliche entscheiden. Die Zustimmung, die Kramp-Karrenbauer erntete, kam vor allem von der älteren Generation, während Jubel der Jüngeren kaum zu vernehmen war. Für ein paar Tage war zwar das Ablenkungsmanöver der CDU-Generalsekretärin geglückt, danach war das Dienstpflicht-Thema mehr als erledigt.
Jens Georg Spahn, der Jungstar der CDU und Gesundheitsminister, versuchte, mit dem Dauerbrenner Pflege in diesem Sommerloch zu punkten. Für mehr und bessere Pflege strebt er eine Erhöhung der Beiträge an. Doch will er auch konkrete Vorgaben für die Zahl der Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern machen, um das Verhältnis zwischen der Zahl der Pflegekräfte und dem anfallenden Pflegeaufwand festzulegen. Auch soll die Bezahlung des Pflegepersonals verbessert werden. Notwendig sind wohl 15.000 bis 50.000 mehr Pflegerinnen und Pfleger, um die Pflege von Kranken und Alten wirklich zu stärken und human zu gestalten. Bislang weiß jedoch niemand, woher diese Pflegekräfte kurzfristig kommen sollen, wo sie etwa im Ausland angeworben werden können, wie sie hierzulande zu mobilisieren und zu motivieren sind. Jens Spahn wird hier noch echte Herkulesarbeit leisten müssen, damit seine Ankündigungen am Ende nicht zu alternativen Fakten werden und die Große Koalition einen neuen Flop landet.
Aufmucken von Laschet und Günther
In der Klima- und Energiepolitik versuchen die Kanzlerin und einige ihrer Kabinetts-Kollegen seit längerem, Fortschritte zu erreichen, bislang allerdings ohne Erfolg. Die einst ehrgeizigen Klimaziele werden nicht erreicht. Zur Energiewende stellt Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, trotz zahlreicher Entscheidungen der Bundesregierung jüngst fest: „So richtig erfolgreich wirkt das für mich bisher nicht.“ Er vermisst die Antwort, wie „die Versorgungssicherheit, besonders der energieintensiven Betriebe, zu wettbewerbsfähigen Preisen in Zukunft garantiert wird“. Denn Wind- und Sonnenstrom werden zu Milliarden-Kosten erzeugt, doch ohne den Ausbau der Strom-Netze und ohne Speicher ist das -so Laschet- „volkswirtschaftlich unverantwortlich“.
Frischer Sommerwind wehte auch aus Schleswig-Holstein in Richtung Berlin. Daniel Günther, der Ministerpräsident, philosophierte öffentlich über eine Zusammenarbeit der CDU mit der Linkspartei. Gefordert habe er das nicht, so versuchte er in einem Interview seine Äußerungen zurechtzurücken und die Frage aufzuwerfen: „Was machen wir, wenn es, wie in Ostdeutschland, Situationen gibt, in denen eine Koalition gegen die Linkspartei nicht gebildet werden könne“. Schließlich gehe es im Übrigen nicht nur um Schnittmengen von Parteien, sondern immer auch um Mehrheiten. Angela Merkel reagierte darauf ziemlich unwirsch und total ablehnend.
In der Migrationspolitik fordert der Ministerpräsident aus dem hohen Norden einen Spurwechsel: „Wir können doch nicht, wie es die Bundesregierung jetzt plant, im Kosovo um Pflegekräfte werben, aber die Leute, die schon hier sind und Deutsch sprechen, die schicken wir wieder nach Hause.“ Noch sind nicht alle Granden in der CDU und CSU bereit, diesen Spurwechsel mitzumachen und im geplanten Facharbeiterzuwanderungsgesetz zu verankern.
Die Rentenpläne von Olaf Scholz
Viel Streit wird es darüber nicht geben – wohl auch nicht zwischen den GroKo-Partnern. Dagegen hat an einem heißen Tag im August der Bundesfinanzminister Olaf Scholz das Rentenfass aufgemacht. CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das heutige Renten-Niveau bis 2025 stabil zu halten; eine Expertenkommission soll für die Zeit danach Reformvorschläge machen. Nichtsdestotrotz pocht nun die SPD darauf, das aktuelle Rentenniveau bis 2040 stabil zu halten. Politisch ist dieser überfallartige Vorstoß geschickt, zumal die SPD bundesweit in Umfragen gerade noch bei 20 % oder sogar darunter rangiert. Wie die Finanzierung dieser Rentengarantie bis 2040 erfolgen soll, darüber ist der Streit gleich heftig in Gang gekommen. Die SPD will zusätzliche Steuermittel dafür einsetzen. Rentenexperten rechnen vor, dass der Rentenversicherungsbeitrag von heute 18,6 auf 25,6 % steigen oder das Renteneintrittsalter von 67 auf 70 Jahre erhöht oder die Mehrwertsteuer von derzeit 19 auf 22 % heraufgesetzt werden müsse. Eine parlamentarische Mehrheit für den SPD-Plan ist angesichts des massiven Widerstands seitens der Union jedenfalls nicht zu erreichen.
Dasselbe gilt auch für die wieder von der Union angefachte Diskussion über die Senkung der Einkommensteuer – vor allem über den Abbau des Solidaritätszuschlags. Dagegen sträuben sich die Sozialdemokraten, denn das würde aktuell nicht zu der Strategie von Scholz, Nahles und Genossen passen: Mehr Verteilung zu Lasten der Reichen und Besserverdiener, mehr soziale Wohltaten aus der Staatskasse und mehr Engagement für die Menschen links der Mitte – das alles soll die SPD endlich wieder in einen Aufwind bringen. Denn bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sowie der Europa-Wahl droht den Genossen ein weiteres schweres Desaster.
CDU-Zittern in Hessen
Um die 20 % dürfte nach den aktuellen demoskopischen Befunden die SPD bei der Landtagswahl am 28. Oktober in Hessen noch erreichen. Der Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel wirkt auf die Wähler eher blass und wenig charismatisch. Doch auch der Ministerpräsident Volker Bouffier, der gemeinsam mit den Grünen regiert und viele politische Erfolge vorzuweisen hat, schaut mit Bangen auf den Wahltag. Um die 30 % der Stimmen für die CDU sind wohl zu erreichen – wesentlich weniger als noch 2013. Die Grünen liegen in Umfragen bei 13 bis 14 %. Es könnte also ganz eng werden und am Ende nicht mehr für Schwarz-Grün, sondern nur noch für eine Jamaika-Koalition oder für eine CDU/SPD-Koalition reichen.
Ein Erdbeben werden die beiden Landtagswahlen im Herbst diesen Jahres im Bund kaum auslösen – jedenfalls nicht in der CDU, an deren Spitze die Kanzlerin unangefochten bleiben wird. Die Blicke werden sich auf das Jahr 2019 richten – auf die Europawahl (26.5.), die Bürgerschaftswahl in Bremen (26.5.) sowie die Landtagswahl in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Ob die GroKo in Berlin bis dahin das politische Klima in der Republik mit überzeugenden Taten nachhaltig verbessern wird, ist fraglich. Derzeit trauen immer weniger Bürger den Unionsparteien und der SPD zu, die brennenden Probleme unseres Landes -wie etwa die Migration, die Digitalisierung, die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum, die Energiewende, den Klimaschutz usw.- befriedigend zu lösen. Die Disruption im Parteiengefüge droht sich fortzusetzen und könnte die politische Stabilität im Lande gefährden.
Bildquelle: Tiia Monto CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons