Ralf Stegner

Stegner: Koalition mit Union sollte „möglichst bald enden“

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sieht in der Großen Koalition mit der Union eine „Lebensabschnitts-Partnerschaft, die möglichst bald enden sollte“. Eine „Dauer-Groko ist eine Bleiweste für die SPD und nicht gut für die Demokratie“.

In einem Gespräch mit dem „Blog der Republik“ sprach sich Stegner aber dagegen aus, dass die SPD jetzt ohne konkreten Grund aussteige. „Wenn ich rausgehe, weil‘s mir schlecht geht, weil ich in Larmoyanz den Leuten sage, die anderen sind gemein zu uns, dann sind Neuwahlen was ganz Furchtbares. Es geht um inhaltliche Überzeugungen, nicht um Parteitaktik. Nur das kann eine Grundlage dafür sein, die Koalitionsfrage neu zu stellen. Das muss dann auch gut vorbereitet sein und kann keiner Laune entspringen. Wenn die Koalition scheitert, weil wir zum Beispiel sagen müssen, die Union ist dagegen, dass wir bezahlbaren Wohnraum schaffen, oder wenn sie der Meinung sind, das Rentenniveau muss nicht gesichert werden oder für den Dieselskandal sollen die Autofahrer zahlen, dann sind das große Fragen, über die man streiten kann. Und wenn über einen solchen Streit eine Regierung platzt, kann ich darüber auch Wahlkämpfe machen.“

Stegner unterstrich, „wenn diese Koalition sich in Arbeit und Erscheinungsbild nicht rasch und drastisch ändert, dann hat sie keinen Bestand, und dann wird es auch nicht bis zur Mitte der Legislaturperiode dauern, bis die Revision kommt. Dann müssen wir es deutlich früher machen.“

Der SPD-Vize sagte voraus, wenn Friedrich Merz oder Jens Spahn zum Nachfolger von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende gewählt würden, „dann würde die Wahrscheinlichkeit, dass die Koalition hält, sicher kleiner“. Beide Kandidaten werden dem konservativen Flügel der Union zugerechnet. Auf der anderen Seite wäre die Wahl von einem der beiden „gar nicht so schlecht“ für die SPD. Stärkere Unterschiede der Volksparteien wären gut für die Demokratie, und für die Sozialdemokraten „würden sich die Perspektiven möglicherweise verbessern. Klar ist aber, dass die Personalentscheidungen anderer Parteien unsere Probleme nicht lösen. Das müssen wir schon selbst tun.“

Stegner sprach sich dagegen aus, innerhalb der SPD eine neue Führungsdiskussion vom Zaun zu brechen. „Dass der Andrea Nahles die Herzen nicht zufliegen, das weiß ich. Ich kenne da was von.“ Es seien Fehler gemacht worden, etwa im Fall des Verfassungssschutz-Chefs Maaßen, „die ich auch selbst kritisiert habe“. Andrea Nahles aber habe „in vielen Dingen deutlich bessere Arbeit gemacht als andere.“ Sie sei gerade mal 18 Wochen im Amt. „Ich finde, da sollte man den Stab nicht brechen.“ Insgesamt aber habe die SPD „nicht besonders viel Glück gehabt mit unseren Personalwechseln in der Vergangenheit. Und wir haben uns manchmal auch für Spitzenkandidaten entschieden, bei denen die Divergenz von Parteiprogramm und Kandidatenprofil bei den Wählerinnen und Wählern Fragen aufgeworfen hat.“

Stegner räumte ein, dass sich die SPD in einer „existentiellen Krise“ befinde. „Wir müssen uns zu drastischen Veränderungen zwingen auf allen Ebenen“. An der Agenda-Politik des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder sei „nicht alles falsch“ gewesen. „Aber es sind gravierende Fehler begangen worden, z.B. dass wir zugelassen haben, dass prekäre Beschäftigung in einem Ausmaß salonfähig geworden ist, wie das nie hätte sein dürfen. Wir hätten schon damals die Mindestlohnfrage stellen müssen. Wir hätten den neoliberalen Virus, der ja auch in die SPD eingedrungen ist, nicht so weit eindringen lassen dürfen.“ Stegner rechnete vor: „Wir haben insgesamt die Hälfte unserer Wählerschaft – zehn Millionen Wähler – verloren und einen großen Teil unserer Mitgliedschaft. Das kann man nicht wegreden.“

Jetzt müsse die SPD eine moderne Sozialstaats-Konstruktion erarbeiten und durchsetzen, „die viele der Mängel aufgreift und beseitigt, die noch in dem bestehenden Hartz-IV-System drin sind. Stichwortartig führte Stegner auf: Bedingungsloses Existenzminimum für jeden, ob Flüchtling oder Deutscher; eine eigenständige Kindergrundsicherung, die den „Skandal der Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland beseitigt“; Anhebung des Mindestlohns auf 12,– Euro. „Das ist das Minimum“; bessere Förderung von Alleinerziehenden; gebührenfreie Bildung von der Krippe bis zu Studium oder Meisterbrief; ein sogenanntes „Chancen-Konto“ für jedermann auf Weiter- und Fortbildung in der digitalen Arbeitswelt. Mit einem solchen Konzept könnte sich die SPD „überzeugend wieder als linke Volkspartei darstellen“, Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, „und die elende Hartz-IV-Diskussion könnte beendet werden“.

Stegner ermahnte seine Partei: „Das Umweltschutz-Thema den Grünen zu überlassen, ist ganz falsch.“ Für die Grünen sei „Umweltschutz auch ein elitäres Projekt“. Die SPD müsse zeigen: „Es geht: Eine Industriegesellschaft zu überführen in eine, wo Umwelt und Arbeit keine Gegensätze sind. Wenn wir nicht kapieren, dass wir Arbeit und Umwelt zusammenbringen müssen und zugleich der Klimaschutz Priorität haben muss, werden die jungen Wähler in Scharen zu den Grünen davon laufen.“

Bildquelle: flickr, SPD Schleswig-HolsteinCC BY 2.0

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Christoph Lütgert war Rundfunk-Korrespondent beim NDR, hat für Panorama gearbeitet und war später Chefreporter Fernsehen beim Norddeutschen Rundfunk. Lütgert wurde wegen seiner sozialkritischen Reportagen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.


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