Hut ab! Das zeugt von Haltung. „Lasst uns streiten“, ruft der SPD-Vorsitzende Martin Schulz seiner Partei zu. Unmittelbar vor dem Bonner Parteitag, bei dem es um eine, doch, man darf wohl sagen, historische Entscheidung geht, ist das eine bemerkenswerte Geste. Kein Basta kommt über seine Lippen, kein Machtwort, auch kein Appell zur Harmonie des schönen Scheins.
Schulz verteidigt die offene Debatte der Sozialdemokraten gegen alle Häme von außen, gegen Begriffe wie „Zwergenaufstand“ und „Wackelpudding“, mit denen sich die Urheber selbst disqualifizieren. Streiten gehört nicht nur dazu, streiten ist elementar für die Demokratie. Und die an der Großen Koalition neu belebte Streitkultur in der SPD – „hart in der Sache, aber immer mit dem Respekt vor dem Argument der anderen“ (Schulz) – hebt sich wohltuend ab von den autoritären Gepflogenheiten der konservativen Parteien.
„Das ist unsere SPD“, sagt Martin Schulz, der sich um eine Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen bemüht und darum nach Kräften bei Skeptikern und Kritikern wirbt. Die Entscheidung werde „von enormer Bedeutung für die Zukunft in Deutschland, in ganz Europa – und für die SPD“ sein, schreibt der Vorsitzende in einem Brief an die Mitglieder. Das wird auch im „NoGroKo“-Lager niemand in Abrede stellen.
Schulz nennt es „beeindruckend, wie leidenschaftlich, ernsthaft und konzentriert unsere Partei diese Diskussion führt. Und mit welcher großen Verantwortungsbereitschaft für unser Land und unsere Partei.“ Unabhängig davon, wie am Ende das Ergebnis ausgehe, sage er: „Unsere Partei führt eine Debatte, die die Demokratie in unserem Land stärkt.“
Sein Gegenspieler, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, ist aus dem gleichen Holz geschnitzt. Respektvoll und fair führt der 28-Jährige die Bewegung derer an, die sich einer Neuauflage der Großen Koalition verweigern wollen. Er betont die „solidarische“ Diskussion, und den sportlichen Wunsch, das bessere Argument möge gewinnen.
Kühnert meint natürlich, die besseren Argumente zu haben, und er trägt sie mit einer Gelassenheit vor, wie sie für Jungsozialisten ungewöhnlich ist, oder zumindest in früheren Jahrzehnten war. Denn es war ja seit geraumer Zeit still geworden in der Nachwuchsorganisation der SPD.
Die Bezeichnung als „Rebell“ will zu Kühnerts unaufgeregter und ruhiger Art nicht recht passen, und schon gar nicht die Titulierung als „Milchgesicht“, die ihm von einer Boulevardzeitung verpasst worden ist. Sein Standpunkt ist nicht im Geringsten naiv, wie da suggeriert werden soll, sondern wohl überlegt, fundiert und mindestens ebenso von Verantwortungsbewusstsein getragen, wie der der Befürworter einer Großen Koalition.
Martin Schulz sagt: „Wir wollen den sozialen Zusammenhalt in Deutschland stärken. Wir wollen unser Land dort, wo es nicht modern ist, erneuern. Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen.“ Kevin Kühnert bezweifelt, dass genau das in einer Großen Koalition gelingen kann. Der Parteitag wird aus den widerstreitenden Ansichten die Mehrheitsentscheidung treffen, einen Kompromiss gibt es nicht.
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