In diesen Tagen der Corona-Krise dürfte auch dem Letzten klargeworden sein, wie wichtig bestimmte Dienstleistungen für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind. Gleiches gilt für die Kulturschaffenden. Man kann nur hoffen, dass die Politik es nicht bei warmen Worten belässt und die Gewerkschaften die Situation nutzen, um kräftige Gehaltserhöhungen für diese Klientel durchzusetzen.
Wir haben uns vor geraumer Zeit mit der sozialen Situation von Kulturschaffenden beschäftigt. Grundlage war der Bericht einer Enquête-Kommission des Bundestages. Das Ergebnis ist einigermaßen niederschmetternd: Die hochqualifizierten, meist jüngeren Menschen in den Kulturberufen verdienen jämmerlich wenig und müssen auch von ihrer sozialen Absicherung her dem sogenannten modernen Prekariat zugerechnet werden.
Mit Kulturberufen, ob in den Bereichen Musik, Literatur, bildende oder darstellende Kunst, Graphik und Design, Film/TV/Rundfunk oder neue Medien, assoziiert man gemeinhin die Verknüpfung von Kreativität und Freiheit, zumal, wenn sie in selbständiger Form ausgeübt werden. So scheint die Attraktivität dieser Studiengänge und Berufe ungebrochen. Gerade junge Leute hegen offenbar in großer Zahl den Traum von einem glamourösen Künstlerleben – dabei vergessend, dass nur die wenigsten es zu öffentlichem Ruhm oder auch nur einer festen Anstellung bringen. Viele sehen einer ungesicherten Erwerbsperspektive entgegen, obwohl sie über eine hochqualifizierte Ausbildung verfügen. Sie entscheiden sich für einen Weg, der ihren Neigungen entspricht und ihnen die Realisierung eines gewissen Maßes an Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit erlaubt. Dafür sind sie offenbar auch „bereit“, auf Dauer mit (sehr) wenig Geld auszukommen. Hier scheinen nicht nur Künstler qua Tätigkeit, sondern auch wahre Lebenskünsterlinnen und -künstler heranzuwachsen. Die Monatszeitschrift Das Magazin stellte unter der Überschrift Künstler zwischen Selbstausbeutung und Leidenschaft einige von ihnen beispielhaft vor. Viele von den Künstlern … arbeiten nebenbei als Kellner, haben einen Nebenjob an der Uni, halten sich mit Stipendien über Wasser und leben ohnehin äußerst bescheiden.
Deutlich wird anhand der Beispiele, dass viele in das Freiberuflerdasein gedrängt wurden, weil Unternehmen ihre Jobs outgesourct haben, um sich ihrer sozialen Verpflichtungen zu entledigen. Durch die Auslagerung ehemals angestellter Tätigkeiten haben Unternehmen erhebliche Einsparungspotentiale erzielt. Ein Teil der Freiberufler hofft aber auch darauf, dem täglichen Einerlei einer Angestelltenkarriere zu entkommen und künftig einer kreativen, coolen Tätigkeit nachzugehen. Ideologisch wird dies dann gern als Zugewinn an persönlicher Freiheit und Flexibilität verbrämt – in krasser Verkennung der materiellen Ausstattung dieser Tätigkeiten.
Zur Zeit unserer Recherche waren fast 800.000 Menschen künstlerisch tätig. Wie die Enquête-Kommission in ihrem Schlussbericht feststellt, ist die Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Kulturberufen in den letzten Jahren stark angestiegen. Sie verteilen sich auf folgenden Branchen:
Design und bildende Kunst 213 000
Musik und darstellende Kunst 202 000
Literatur und Publizistik 175 000
Architekten 113 000
Bibliothekare und Museumsfachleute 66 000
Kulturspezifische Geisteswissenschaftler 28 000
Die größten Wachstumsschübe erzielten die Designer und Graphiker (plus 93 Prozent), gefolgt von den Ton-/Bildingenieuren, Bühnen-/Filmausstattern (plus 73 Prozent), Schriftstellern und Übersetzern (plus 53 und 55 Prozent), und auch die klassischen Künstlerberufe verzeichneten im Vergleichszeitraum ein Wachstum von 20 bis 40 Prozent. Dem Bericht, der sich auf Daten des Mikrozensus, der Umsatzsteuerstatistik und der Statistik der Künstlersozialkasse stützt, ist auch zu entnehmen, dass die Zahl der Selbständigen stetig steigt, während die der abhängig Beschäftigten ebenso stetig schrumpft.
Die allermeisten Künstlerinnen und Künstler verfügen über einen Hochschulabschluss sowie spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, wozu auch ein hohes Maß an Risikobereitschaft sowie Zusatzkompetenzen wie Selbstvermarktungs- und Selbstorganisationsfähigkeiten gehören. Bei der Entwicklung der Selbständigkeit fällt neben der Akademisierung eine zunehmende Feminisierung auf. Insbesondere der wachsende Zustrom hochqualifizierter Künstlerinnen hat … zu den Wachstumsraten von freiberuflichen bzw. selbstständig arbeitenden Künstlern beigetragen. Daraus ist zu schließen, dass in den öffentlich finanzierten Kulturbetrieben kaum noch Einstellungen von Frauen vorgenommen werden. Das entspräche dem typischen Muster der Geschlechterverhältnisse in den Künsten und stützte die Annahme, dass Frauen insbesondere dort erwerbstätig seien, wo flexible Arbeits- und Lebensformen potenziell besser aufeinander abgestimmt werden können.
Von den annähernd 800.000 Erwerbstätigen in Kulturberufen waren laut Mikrozensus rund ein Drittel oder 337.000 als Selbständige tätig. In der Künstlersozialversicherung sind davon noch einmal weniger als die Hälfte, nämlich rund 153.000 Personen registriert. Seit Inkrafttreten des Künstlersozialversicherungsgesetzes (Januar 1983) und zweimaliger Novellierung sind zwar die freischaffenden und selbständig tätigen Künstler/Künstlerinnen und Publizistinnen/Publizisten im Rahmen des gesetzlichen Sozialversicherungssystems kranken-, renten- und pflegeversichert – und das ist ein beachtlicher Fortschritt gegenüber ihrer sozialen Lage vorher; gleichwohl ist der Zugang zur Künstlersozialkasse nicht ohne Hürden, unter anderem weil die Zugangsvoraussetzungen häufig den realen Existenzbedingungen und Erwerbsformen widersprechen und bisweilen realitätsfremd formuliert sind. Hier ist zu bedenken, dass die Charakterisierung der künstlerischen Tätigkeiten als selbständige/unselb-ständige angesichts der realen Einkommensverhältnisse eher irreführend ist. In vielen Fällen dürfte es sich um nichts anderes als Scheinselbständige handeln. Auf die Notwendigkeit einer rechtlichen Klärung der Statusfrage wird in dem Bericht selbst hingewiesen.
Ist somit die soziale Absicherung der Kulturschaffenden immer noch prekär genug, so sind die Daten über ihre Einkommensverhältnisse nun wirklich erschreckend. Hierzu sagt der Enquete-Bericht: Die Einkommen der Mehrzahl der in der Künstlersozialkasse Versicherten sind sehr gering. Aufgrund der Vorausschätzungen der Versicherten wurde ein Durchschnittseinkommen von 11.094 Euro im Jahr errechnet. Das Einkommen der Künstlerinnen lag mit 9.483 Euro im Jahr noch unter dem der Künstler (Jahresdurchschnittseinkommen 12.452 Euro).
Ein solches Jahreseinkommen ist kaum geeignet, davon den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Nach dem Bericht verfügt die Gruppe der bildenden und darstellenden Künstlerinnen und Künstler sowie der Musikerinnen und Musiker über ein durchschnittliches Monatseinkommen von 800 bis knapp 900 Euro. Es gehört schon eine Menge Idealismus dazu, um unter solchen finanziellen Bedingungen zu leben und zu arbeiten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in die statistischen Durchschnittswerte auch die Einkommen der gut Verdienenden eingehen, so dass die tatsächlich erzielten Einkommen häufig noch unter denen in der Statistik angegebenen liegen könnten.
Die Handlungsempfehlungen der Enquête-Kommission an den Deutschen Bundestag erstrecken sich auf ein breit wie gezielt angelegtes Förderprogramm zur sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Absicherung der Kulturschaffenden. Der Wert des Berichts liegt unseres Erachten vor allem auch in der statistischen Aufarbeitung und Veröffentlichung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in ihrer ganzen Prekarität.
Bedenkt man, über welche herausragenden Qualifikationen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten diese Berufsgruppen verfügen und welchen Beitrag die meisten von ihnen in einer von der Dominanz ökonomischer Imperative geprägten Gesellschaft für die geistige und kulturelle Reproduktion der Menschen leisten, dann ist es ein Skandal mit anzusehen, unter welchen materiellen Bedingungen viele von ihnen ihr Dasein fristen. Denn immerhin macht die Anzahl der Kulturschaffenden in etwa die der deutschen Landwirte aus. Um deren Subventionen kümmern sich nicht nur in Brüssel ganze Heerscharen von Lobbyisten und Politikern. Ein Bruchteil dieser Gelder würde reichen, damit diejenigen, die uns mit ihren kulturell-künstlerischen Leistungen das Leben verschönern, unter würdigeren Existenzbedingungen ihrer für die Gemeinschaft unverzichtbaren Tätigkeit nachgehen könnten. Dass dies nicht der Fall ist, kommt für eine so reiche Gesellschaft wie die unsere einer Schande gleich.
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