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Wenn die Räder still stehen – Corona verändert das öffentliche Leben

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
20. März 2020
Corona

Keiner weiß, wie lange die Pandemie dauern wird, niemand kann einschätzen, wieviele Opfer sie fordern wird. Wer heute eine Zahl der Infizierten nennt, wird spätestens am Tag danach von neuen erschreckenden Zahlen überholt. Die Ungewissheit ist riesengroß. Maßnamen der Politik und der Wirtschaft, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, damit die Ärzte in den Krankenhäusern und Kliniken nicht überfordert werden, wenn es wirklich Ernst wird. sind immer nur auf die Gegenwart bezogen, man schließt im Grunde fast nichts mehr aus im Kampf gegen das tödliche Virus. Das öffentliche Leben wird in einem Maße und einem Tempo eingeschränkt, das in normalen Zeiten Demonstrationen auslösen würde. Macher sind gefragt, Risiko-Manager, die sich trauen oder sich dafür halten,  anders als die Zögerer und Zauderer. Während die Kanzlerin Angela Merkel die Lage in ihrer Fernsehansprache beschrieb und den Ernst der Situation, aber sich mit weiteren konkreten Maßnahmen zurückhielt, preschte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vor und verhängte für Bayern eine Art Ausgangssperre, die man besser eine Beschränkung des Ausgangs für viele nennen kann. Aber immerhin.

Krisen sind die Zeiten  für Macher wie Söder, der sich gern das Image zugelegt hat, andere wie Armin Laschet zögern noch, warten darauf, dass sich möglichst alle in eine Richtung bewegen, am besten Bund und alle Länder gemeinsam entscheiden, was zu tun ist. Oder besser, was man den Menschen draußen verbietet. Die größte Herausforderung nach dem 2.Weltkrieg, so hat es die Kanzlerin in ihrer Rede an die Nation genannt, jeder einzelne sei gefordert, müsse sich zurückhalten, am besten zu Hause bleiben, wenn er nicht zur Arbeit müsse, Verzicht auf soziale Kontakte hatte sie gefordert, mit Nachdruck den Gedanken mehrfach geäußert. Noch hätten wir es selbst in der Hand, ob es zu weiteren Einschränkungen käme. Einschränkung der Bewegungsfreiheit, das will eigentlich niemand, schon gar nicht eine wie Merkel mit ihrer Vergangenheit. Sie hat das schließlich viele Jahre erlebt „drüben“, wie wir früher die Gebiete östlich der Elbe nannten. Aber jetzt haben wir eine andere Zeit, eben diese Herausforderung mit diesem unsichtbaren Feind, dessen tödliche Infektion wir meiden müssen.

Ignoranz nicht weniger Zeitgenossen

Die Verkündung solcher Botschaften wie Ausgangssperre ist natürlich nicht schön. Andererseits haben Politiker an einigen Orten der Republik, wie die Kölner OB Reker und Berlins Regierender Bürgermeister Müller, gemerkt, dass zu viele ihrer jungen  Bürgerinnen und Bürger sich an die Vorgaben nicht halten, weil sie nicht viel davon halten, sondern meinen, dass es Panik-Mache sei. Sie haben den Ernst der Lage offensichtlich nicht begriffen, wollen nicht freiwillig auf Feste verzichten, darauf, sich mit Freunden zu versammeln und stattdessen sogar Corona-Parties feiern.  Repräsentative Umfragen haben diese Ignoranz nicht weniger Zeitgenossen inzwischen bestätigt und Hoffnungen liberaler Politiker wie Merkel und  Laschet fast zunichte gemacht. Mag sein, dass einer wie Söder dann eben die Nase voll hatte und sich sagte: Dann wird eben entschieden, warum soll ich noch bis zum Sonntag, bis zum Treffen mit der Kanzlerin und den anderen Ministerpräsidenten warten und Zeit verschwenden.

Ausgangssperre bezieht sich auf den privaten Bereich, wer zur Arbeit geht, darf das Haus verlassen, es sei denn, er kann den Job von zu Hause aus erledigen, also Home-Office. Erlaubt sind  ab Samstag neben den Wegen ins Büro oder an die Maschine nur noch Gänge zum Arzt und zur Apotheke, Einkäufe für den täglichen Bedarf an Lebensmitteln, Besuche von zu pflegenden Nachbarn. Bewegung an der frischen Luft ja, aber nur allein, mit dem Lebenspartner und den Kindern. Mal eben ins Straßencafé zu gehen, das ist vorerst vorbei wie der Gang zum Baumarkt. Auch Frisöre sind wohl davon betroffen. Es ist aus Söders Sicht der notwendige Schritt, die Zahl der Infektionen steigen rasant wie auch die Todeszahlen. Möglich, dass Söder und seine Umgebung auch schockiert sind von Berichten aus Oberitalien, wo Zelte als medizinische Behandlungsräume umfunktioniert sind. Man sah  Bilder von völlig überarbeiteten Ärzten und Schwestern, Bilder von Toten. Sage niemand, italienische Verhältnisse seien bei uns nicht möglich. 

Übrigens folgt der bayerische Ministerpräsident mit seinem schnellen Handeln dem Rat vieler Virologen, die seit Tagen fordern: Jetzt, sofort, jede Stunde zählt.

Die größte Herausforderung seit 1945, mag sein. Es geht um alles, um Leben und Tod, aber sicher auch, wie man das weiter täglich erleben kann, schlicht um Klopapier. Da kann Merkel noch so betonen, es gibt keinen Engpass, sobald der Supermarkt und die Drogerie wieder Klopapier auf Vorrat haben, stürmen die Leute die Läden und kaufen, als gäbe es kein Morgen. Heute war das in Bonn-Kessenich zu beobachten. Der Drogerie-Laden hatte angekündigt, dass ab 12.30 Uhr Klopapier wieder zum Verkauf stünde, jeder dürfe aber nur eine Packung  mitnehmen.

Warum nicht wieder Apotheke der Welt werden

Das öffentliche Leben verändert sich, weil die Pandemie dazu führt, dass Produktionen geschlossen werden. Wer kauft heutzutage noch ein Auto? Globale Lieferketten sind unterbrochen, es gibt keinen Weg mehr von China nach Europa. Und sollten wir in Deutschland nicht wieder zur Apotheke der Welt werden? Der Einbruch der chinesischen Nachfrage bringt vieles zum Erliegen. Über den billigen Ölpreis jubelt der Autofahrer, aber das wird nur kurzfristig sein. Die Börsen stürzen ab. Wer es sich leisten kann, wartet ab, in der Hoffnung, es werde irgendwann wieder besser. Der Ruf nach dem Staat ist laut geworden, die Bundesregierung, aber auch Landesregierungen haben umfangreiche Maßnahmenpakete beschlossen, Hunderte von Milliarden Euro sollen Abhilfe schaffen, die drohende Wirtschaftskrise abfedern. 

Niemand weiß, wie lange die Corona-Krise andauert? Niemand kann sagen, wann es denn den Impfstoff geben wird, mit dem dann alles wieder gut werden soll. Es sei genug Geld da, hat Bundesfinanzminiser Olaf Scholz die Menschen beruhigen wollen. Kann ja sein, aber wie lange reicht das Geld für jene, deren Firmen jetzt vor die Hunde gehen und sie selber arbeitslos werden? Mit Krediten ist ihnen nicht geholfen, sie brauchen Geld zum Leben, oder gar zum Überleben. Kredite würden ihre mögliche Schuldenlast zusätzlich strapazieren.

Nehmen wir Europa. Die wirtschaftliche Lage in Italien ist nicht rosig, jetzt wird das Land von der Corona-Krise besonders heimgesucht. Das öffentliche Leben steht weitgehend still, Ministerpräsident Conte macht einen tollen Job als politischer Krisenmanager. Aber wie lange halten die Italiener das durch? Kann Conte die Populisten um Salvini in Schach halten? Was wird aus der Globalisierung? Was aus den offenen Grenzen in Europa, die jetzt dicht gemacht wurden? Was wird aus den Flüchtlingen, die in der Türkei sind oder in Griechenland? Das Problem ist ja nur dank Corona aus den Schlagzeilen geraten? Was wird aus dem Klimawandel, über den jetzt niemand mehr redet? Aber erledigt ist das Thema nicht.

Europa muss sich wehren gegen Spaltungsversuche

Europa mus wieder zusammenfinden, man darf sich nicht auseinanderleben, sich hinter Grenzen und Mauern abschotten. Europa muss sich wehren gegen Spaltungsversuche. Gut, dass der Exportstopp für medizinische Schutzausrüstung wieder aufgehoben wurde. Berlin hat Rom eine Soforthilfe von einer Million Gesichtsmasken zugesagt. Das ist gelebtes Europa, das hoffentlich gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird. Gerade hat man erlebt, wie die transatlantische Partnerschaft in der Realität aussieht, wenn einer wie Trump mit Milliarden Dollar versucht, die in Tübingen ansässige Firma CureVac zu übernehmen, die an der Arbeit mit dem Impfstoff gegen Corona sitzt. Trump wollte das exklusiv für Ámerika kaufen. America first. So sieht es aus. Daraus kann Europa nur die Lehre ziehen: Gemeinsam sind wir stark. Jeder ist sich selbst am nächsten, ist der falsche Weg.

Corona verändert die Welt. (Lesenwert dazu: Marc Saxer: Epochenbruch. IPG Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung) Wer hätte vor Wochen gedacht, dass eine Forderung des Juso-Vorsitzenden Kühnert nach Verstaatlichung plötzlich von ehrbaren Regierenden als Idee verkündet wird. Oder nehmen wir die Klimadebatte, die Luftverschmutzung. Und plötzlich stehen ganze Flugflotten mit ihrem teuren Fluggerät am Boden. Klar, irgendwann wird wieder geflogen, aber man hat gesehen, dass es Alternativen gibt im Inland, auch innerhalb von Europa, man hat gesehen,dass nicht jeder Job zu einem Auslandsflug führen muss, sondern dass man manches auch durch Video-Konferenzen erledigen kann. Unmögliches wird möglich gemacht, die schwarze Null ist plötzlich kein Dogma mehr. Überhaupt scheinen Regierungen wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln, man nehme nur die Groko in Berlin. Das alte Wort Solidariät wird wieder entdeckt, der Gemeinsinn ins Spiel gebracht, die Gesellschaft als Ganzes ist mehr und besser als das Profitstreben Einzelner.

Die Krise als Chance. Warum eigentlich nicht?

Bildquelle: Pixabay, Bild von Tumisu, Pixabay License

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