Carsten Linnemann, der smarte Bundestagsabgeordnete aus Paderborn und emsige Vorsitzende der Mittelstandsunion stellte nach der für seine Partei enttäuschenden Europa-Wahl unverblümt klar: „Die Union ist gerade dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren. Es ist Alarmstufe Rot.“ Zugleich forderte er seine Partei auf, ihre inhaltliche Entkernung zu beenden und sich wieder darauf zu konzentrieren, „wofür wir stehen und wofür wir nicht stehen.“
Die jüngsten Umfragen haben wie gefährliche Blitze in der CDU-Zentrale eingeschlagen. Bei Forsa rangiert die Union inzwischen hinter den Grünen.
Dass die SPD gar mit 12 % auf Platz 4 abgerutscht ist, darüber können sich Christdemokraten keineswegs freuen; vielmehr ist der Niedergang der Sozialdemokraten wie ein Menetekel an den Wänden des Konrad-Adenauer Hauses.
AKK im Sturzflug
Alle Hoffnungen, die nach der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) zur CDU-Vorsitzenden zur Jahreswende aufkeimten, sind jäh zerstoben. Während Angela Merkel, die das Parteiamt abgab und sich nun wie befreit von dieser Last auf ihr Regierungsamt zurückgezogen hat, weiterhin eine breite Zustimmung in der Bevölkerung erhält, befindet sich AKK im Sturzflug in die tiefen Abgründe der Popularität. In Interviews kündigt sie an, dass die Union alles tun muss, um besser zu werden. Und sie warnt vor der Politik der Grünen, die mit ihren Ankündigungen und Versprechen, insbesondere mit ihren Hauptdarstellern Habeck und Baerbock im Volk kräftig punktet.
Bei den Themen Umwelt und Klima spielen sie inzwischen mit Bravour die 1. Geige. Die Begleitmusik wird von vielen anderen – allen voran von der „Friday for future“-Bewegung – eindrucksvoll gespielt.
Das Desaster der Energiewende
Die Union, dessen einstiger Kanzler Helmut Kohl vor Jahrzehnten seine Regierungserklärung mit dem Ziel „Die Schöpfung bewahren“ verkündete, die den Katalysator gegen den massiven Widerstand der Automobilbosse kurzfristig per Gesetz durchsetzte, die 1986 das Bundesumweltministerium etablierte und die mit Klaus Töpfer einen der besten Ökopolitiker vorweisen konnte, steht seit Jahren mehr oder weniger blank da.
Angela Merkel war mit dem damaligen Umweltminister Gabriel im leuchtend roten Dress vor Grönland aufgetaucht, um die Rettung des Klimas zu verkünden. Als „Klimadonna“ tauchte sie auf großen Weltkonferenzen auf und unterschrieb Verpflichtungen zur Reduktion der CO2-Emissionen, die nun nicht eingehalten werden können. Eine mehrfache Wende von der Wende wurde bei der Nutzung der Kernenergie vollzogen. Während andere Länder ihre – zum Teil wesentlich unsichereren – Atommeiler ohne CO2-Ausstoß weiterhin nutzen und die Klimaziele durchaus erreichen, beschloss die Regierung Merkel den endgültigen Ausstoß hierzulande im Jahre 2022. So kommt es zu gerade absurden Entwicklungen: Im Nachbarland Belgien laufen marode Kernkraftwerke munter weiter, in Aachen werden an ängstliche Bürger Jodtabletten verteilt. Der Ausstieg aus der Kohle – insbesondere aus der Braunkohle mit den hohen Emissionen – ist für 2038 vorgesehen. Besser für’s Klima wäre es wohl gewesen, zuerst die Kohlemeiler still zu legen und danach die Kernkraftwerke schrittweise vom Netz zu nehmen.
Front gegen Windräder und Leitungen
Die Energiewende droht derweil zum Desaster zu werden. Sonne und Wind sind regenerative Energiequellen , die indessen den Strom sehr diskontinuierlich liefern – mal gar nicht, mal im Übermaß. Speicher und Netze – vor allem für Offshore-Windstrom – sind nicht ausreichend vorhanden.
Das alles verzögert den Wendeprozess. Und nun tut sich immer mehr öffentlicher Widerstand gegen Windrotoren, die viele Vögel zerfetzen und die Natur zum Teil verschandeln, sowie gegen über- wie unterirdische Stromleitungen auf. Mehr als 1000 Bürgerinitiativen machen inzwischen Front dagegen. Nur Minister Altmaier gibt sich immer noch als Optimist, sonst herrscht vielfach Katerstimmung. Denn die Strompreise steigen und steigen; Deutschland ist das teuerste Stromland der Welt. Wenn das so bleibt, wird die starke Förderung des E-Autos nicht zum Durchbruch beim Klimaschutz führen. Ohnehin begreifen die Bürger nicht, warum nun die Große Koalition die Batterieproduktion hierzulande, mit Milliarden Euro fördern will, obwohl die Autohersteller zuvor Milliardenbetrügereien betrieben haben und mit dem E-Auto neue Gewinne machen wollen.
Der Rezeptblock des Doktor Merz
Es klemmt und hakt allüberall. Im Diagnostizieren der Misere gibt es in der Union viele Champions. Auch Friederich Merz, der CDU-Oldie und bei der jüngeren Generation gerade noch als „gehobener Mittelstand-Millionär von Black Rock“ bekannt, verkündete die Prognose, dass die GroKo nicht über den Jahreswechsel 2019/ 2020 hinaus halten wird. Im technischen Sinne hält er sie schon jetzt für handlungsunfähig. Schließlich fordert der Hochkaräter aus dem Sauerland eine „Agenda 2030, ein Programm der Vereinbarkeit von Wirtschaft und Umwelt.“ Sehr konkret sind die Merz-Vorschläge indessen nicht; für eine wirkliche Therapie zur Gesundung der Union und der Nation reichen diese auch nicht. Mehr Aktien auch für die „kleinen Leute“, die komplette Streichung des Soli und die Zertifikate-Lösung zur CO2-Reduktion, diese Merz-Pillen dürften die breite Öffentlichkeit kaum elektrisieren und wieder mehr Wähler zur CDU treiben. 40 % für die Union erscheinen Realisten wie eine Fata Morgana, doch Friedrich Merz hält diese Marke immer noch für realistisch, „auch wenn es nicht einfacher wird…Das gelingt aber nur, wenn eine Partei eine Geschichte erzählen kann und nicht den Debatten hinterherläuft.“ Das Rezept des Doktor Merz ist honorarfrei, ob seine Verordnung den Strategen in der CDU-Zentrale den Weg zu einer erfolgreichen Therapie weist, ist mehr als ungewiss. Denn sein Narrativ wird vor allem die Jüngeren im Lande nicht überzeugen – insbesondere nicht Rezo und seine Follower.
Ohne klare Kante in der Sachpolitik – für Umwelt, Klima, Digitalisierung, Steuern und Altersvorsorge droht der CDU bei den drei Landtagswahlen, die im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen stattfinden werden, ein weiteres Desaster. Profiteur wird da vor allem die AfD sein. AKK und ihre Mannschaft sollten insbesondere auch ihre Kommunikationsstrategie nachhaltig verbessern. Mit seitenfüllenden Interviews in manchen Printmedien ist es da nicht getan. Kurze und verständliche Botschaften kommen besser an, wenn sie gepostet, gebloggt und getwittert werden. Ebenso sollten einige für ihre Auftritte im Fernsehen und Rundfunk intensiv trainieren, denn hier spielen Rhetorik, Symbolik, Sprache und persönliche Ausstrahlung eine große Rolle. Manche Unionschristen formulieren viel zu kompliziert, schwurbeln bei ihren Auftritten herum, wirken keineswegs gewinnend.
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Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen