Immer wenn ausgerechnet Martin Schulz in der SPD-Zentrale unter der Bronze-Skulptur des legendären Willy Brandt steht, ist das visuelle Blasphemie oder gar Perversität: Im Hintergrund der verehrte Parteichef, der die Sozialdemokratie im Nachkriegsdeutschland auf die Gipfel der Macht führte, und davor dieser jämmerliche Herr Schulz, der in nur einem Jahr alles vergeigt hat: Diverse Wahlen und nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit, sondern auch die der einst ehrenwerten Partei.
Gerade mal ein Jahr ist es her: Da wählten die Genossen im kollektiven Blackout den Mann, der viel lieber in Brüssel geblieben wäre, aber nicht durfte, mit 100 Prozent zum SPD-Chef. (Kleine Zwischenfrage: Was hatte Schulz bis dahin so Großartiges geleistet ?) Und fortan ging’s bergab. Alle Wahlen, die in den vergangenen 12 Monaten anstanden, hat die von Schulz geführte SPD kläglich versemmelt. Dann aber, der „Spiegel“ hat es verdienstvoll dokumentiert, lamentierte Schulz, seine Berater hätten ihn jeweils falsch beraten.
Mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz fiel die SPD in der vorigen Bundestagswahl auf katastrophale 20 Prozent. Mit nur ein wenig Ehre im Leib hätte Schulz zurücktreten müssen. Stattdessen rettete er sich, indem er mit Pathos und Tschingderassabum die „Nie-wieder-Große-Koalition“-Bewegung ausrief. Weils so schön war, wiederholte er nach dem Scheitern von Jamaika sein Groko-Nein – genauso lärmend, genauso pathetisch und – wie wir inzwischen wissen – genauso verlogen.
Denn Schulz, zu dessen Markenkern der Wortbruch gehört, setzte sich kurze Zeit später an die Spitze des Zuges in eine erneute große Koalition. Sein nächstes Täuschungsmanöver: Auf dem SPD-Sonderparteitag, auf dem der 180-Grad-Schwenk abgesegnet werden sollte, machte er – wie sich jetzt herausstellt – unhaltbare Versprechen, was der Union alles abgetrotzt werden sollte.
Und zum Schluss das tollste Stück aus dem Schulz’schen Tollhaus: Niemals werde er als Minister in ein Kabinett Angela Merkel eintreten, hatte der SPD-Chef verkündet und versprochen. Und jetzt beansprucht er das prestigeträchtige Außenministerium für sich, verdrängt daraus den derzeit populärsten Sozialdemokraten Sigmar Gabriel. Schulz ging und geht es eben immer nur um Schulz. So schamlos hat das vor ihm kaum ein anderer Politiker in Deutschland vorexerziert. Schulz – die lebende Karikatur des machtversessenen, prinzipienlosen Politikers, der die Propaganda der Populisten Realität werden lässt. Dass er den Parteivorsitz abgibt, mindert den Glaubwürdigkeitsverlust nicht.
Eine Partei, die sich das gefallen lässt, setzt ihre Ehre aufs Spiel. Die SPD-Führung um Schulz herum scheint das bislang nicht begriffen zu haben. Jetzt liegt es an der Basis, die verloren gegangene Ehre der Partei wenigstens teilweise wiederherzustellen: Indem sie beim anstehenden Mitgliedervotum gegen die Große Koalition stimmt und damit den Egotrip des ehrlosen Martin Schulz stoppt.
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Sehr geehrter Herr Lütgert,
vielen Dank für Ihr Statement und die klaren Worte. Was die Glaubwürdigkeit von Herrn Schulz angeht, bin ich absolut bei Ihnen. Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich folgenden Ihrer Sätze zu Unrecht hinterfrage: „Alle Wahlen, die in den vergangenen 12 Monaten anstanden, hat die von Schulz geführte SPD kläglich versemmelt.“ – Wie definieren Sie „versemmelt“, wenn Sie von „Alle Wahlen“ sprechen? In Niedersachsen ist Stephan Weil immerhin als Ministerpräsident wiedergewählt worden.
Mit meiner Frage will ich keinesfalls Martin Schulz verteidigen, sondern nur eventuellem Unmut vorbeugen, falls sich andere LeserInnen bzgl. des genannten Satzes die gleiche Frage stellen wie ich. In diesen Tagen kommen dann einfach zu schnell Begriffe wie „Populismus“, „Lügenpresse“ usw. auf den Tisch.