Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat sich um unsere Republik sehr verdient gemacht. Sein Einsatz für stabile politische Verhältnisse war nicht ohne Erfolg. Trotz der voreiligen klaren Ansagen der SPD-Führung, lieber in die Opposition zu gehen als weiterhin mitzuregieren, erzielte Steinmeier eine innere Umkehr bei Martin Schulz und seinen Genossen. Sie zeigen sich bereit, erneut staatspolitische Verantwortung zu übernehmen, denn für sie gilt: Erst das Land, dann die Partei! Allein dies muss jedem großen Respekt abverlangen. Denn jede Alternative -ob Minderheitsregierung oder ob Neuwahl- wäre der schlechtere Weg. Das gilt auch für Angela Merkel und die Union
GroKo mit stabiler Mehrheit
CDU, CSU und SPD haben bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 viele Wähler verloren. Doch mit über 50 % können sie gemeinsam immer noch eine stabile Mehrheit bilden. Auf keinem Wahlzettel stand im Übrigen das Votum pro oder contra einer großen Koalition. Die hohen Stimmverluste sind vor allem auf katastrophale Fehler zurückzuführen, die von den GroKo-Matadoren in Regierung, Parlament und Parteien gemacht wurden. In der Öffentlichkeit wurden nicht die beachtlichen politischen Erfolge dargestellt, nicht die Beschäftigungsrekorde, die Rentenerhöhungen, die sozialen Leistungen und vieles mehr. Stattdessen wurde gemäkelt und miesgemacht, traten sich Mitglieder der Regierungsmannschaft gegenseitig in die Beine und wunderten sich auch noch über den ausbleibenden Beifall von der Tribüne der Wähler.
Sondierungen mit positiven Zielvorgaben
Nun wurde wieder einmal sondiert, was denn CDU, CSU und SPD gemeinsam in der neuen, in der 19. Wahlperiode gestalten wollen und können – zum Wohle unseres Landes und seiner Menschen. Die Herausforderungen sind groß und vielfältig. Die Chancen, sie zu meistern und Erfolge für die Zukunft aller daraus zu machen, sind gut. Allerdings gehört dazu ein mutiges Engagement seitens der politischen Entscheider in vielen Bereichen. Denn es geht dabei nicht allein um die Zeit bis 2021, sondern auch um die Phase jenseits dieser Legislaturperiode, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die jüngere Generation. Neue Weichenstellungen sind jetzt in einer sich geradezu dramatisch verändernden Welt überfällig, damit die Menschen in Deutschland auch in den nächsten Jahrzehnten in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können.
Eine Woche lang haben führende Politiker der Union und der Sozialdemokraten sorgfältig und gewissenhaft sondiert, ob und wie sie in einem schwarz-roten Bündnis die Republik zukunftsorientiert gestalten könnten. Die Ergebnisse dieses Prüfungsmarathons verdienen eine gute Note und sollten nicht kleingeredet oder -geschrieben werden.
Gegen illusionäre Visionen
Gewiss sind darin keine phantasievollen Visionen zu finden, keine Wolkenkuckucksheime. Doch haben die potenziellen Koalitionäre ganz wichtige Zukunftsvorstellungen erarbeitet, die zu realisieren wären. Zudem müssen die wirklichen Gewichte der Parteien in Rechnung gestellt werden: Mit rund 20 % der Wählerstimmen kann die SPD die Union, die es immerhin noch auf über 30 % gebracht hat, nicht einfach majorisieren und so dem größeren Partner alle sozialdemokratischen Vorstellungen überstülpen. Ohne Zweifel wäre die SPD im Bundestag die größte Oppositionspartei – weit vor der AfD, der FDP und den anderen. Doch sollten sich alle Genossen in den Landesverbänden und auch die Jusos an die Weisheit ihres einstigen Großmeisters Franz Müntefering erinnern, der seiner SPD zurief: „Opposition ist Mist!“ Denn wer keine Macht hat, der kann eben kaum etwas machen. Ohne Mehrheit ist jeder in unserer Demokratie machtlos. Selbst wenn er auf mehr Lautstärke und größeren Krawall setzt; darin könnte die AfD alle anderen ohnehin noch übertreffen.
Wenig Chancen für Neid-Genossen
Die sehr breite Sondierungsskizze von CDU, CSU und SPD stellt noch keinen endgültigen Koalitionsvertrag dar. Änderungen und Ergänzungen sind noch möglich. Es mag jedoch verwundern, dass nicht wenige Sozialdemokraten ihre Enttäuschung darüber hinausposaunen, dass die Bürgerversicherung und insbesondere die Steuererhöhung für Besserverdiener in dem Sondierungspapier fehlen. Mit großer Sicherheit würde die Bürgerversicherung zu einer Verschlechterung in unserem Gesundheitssystem führen. Wie das bereits der Fall ist, lässt sich in anderen Ländern in der Realität exakt feststellen. Ein weiteres Anziehen der Schraube bei der Einkommensteuer wäre ein völlig falscher Schritt in einer Zeit, da in Frankreich, Großbritannien, in den USA und anderswo eine neue Steuersenkungsrunde eingeläutet wird. Beide Anliegen können nur Herzensanliegen von Neid-Genossen sein, denen der Verstand für die Konsequenzen solcher Schritte zum Teil oder gar vollends abhandengekommen ist.
Vielen Menschen im Lande brennen andere Probleme auf den Nägeln, nämlich die Sicherung des Arbeitsplatzes angesichts der Digitalisierung, ein Kita-Platz, eine bezahlbare Wohnung, eine zukunftsfeste Rente usw. Vielen hunderttausend Langzeitarbeitslosen kämen die Hilfen zugute, die die Parteien im GroKo-Sondierungspapier aufzeigen.
Bessere Bildungschancen für mehr Gerechtigkeit
Mehr Gerechtigkeit für alle wird gewiss nicht durch blinde Gleichmacherei zu erreichen sein, sondern durch das Eröffnen gleicher Chancen – vor allem im Bildungs- und Ausbildungssystem. Was dazu die Sondierer auf´s Papier gebracht haben, lohnt sich zur Kenntnis zu nehmen. Denn in der Tat sind „Bildung, Wissenschaft und Forschung die Schlüsselthemen für Deutschlands Zukunft“. Dazu sollen die Einrichtung eines nationalen Bildungsrates, eine Investitionsoffensive für die Schulen sowie in die Bildungsinfrastruktur, insbesondere in Ganztagsschulen und Betreuungsangebote beitragen. Dazu sollen die Bafög-Leistungen verbessert und die berufliche Bildung gestärkt werden.
Mit einer guten Bildungsstrategie, die niemanden zurücklässt, die die berufliche Qualifizierung sichert, die Universitäts- und Hochschulabschlüsse fördert, kann das Optimum an Gerechtigkeit erreicht werden. Es wird durch gleiche Chancen für alle garantiert. Niemand -kein kluger Kopf, kein begabter Handwerker- darf zurückgelassen werden. Denn alle sind wichtig für unser Land, unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Nur so kann eine weitere Stufe der Sozialen Marktwirtschaft beschritten werden, um eine solidarische Teilhabe-Gesellschaft zu gestalten. Sie wäre eine echte Fortschreibung von Ludwig Erhards Vision „Wohlstand für alle“.
Rente, Pflege, Wohnen verbessern!
Auch die von den Sondierern jetzt eruierten sozialen Fortschritte vor allem in den Bereichen Rente und Pflege könnten in einer GroKo viele Verbesserungen bringen, die die meisten Menschen im Lande erfreuen dürften. Die CDU und CSU zeigen sich dazu bereit. Das gilt auch für die notwendige Wohnraum-Offensive, die auf den Bau von 1,5 Millionen frei finanzierter und öffentlich geförderter Wohnungen abzielen soll.
Eine Ablehnung seitens der SPD, der bei Umfragen immer noch ein kleiner Vorsprung bei der sozialen Kompetenz zugebilligt wird, könnte zum Verlust weiterer Wählerstimmen führen. Selbst bei anderen durchaus kontroversen und schwierigen Themen haben die Sondierer gemeinsame Linien vorzeichnen können – etwa bei der Migration und Integration, bei der inneren und äußeren Sicherheit. Besonders wichtig wäre zweifellos der neue Aufbruch für Europa, zu dem auch Frankreichs Präsident Macron seit einiger Zeit aufgerufen hat. Dass die großen globalen Herausforderungen europäische Antworten benötigen, dass die meisten Probleme der Außen-, Sicherheits-, Migrations-, Klima- und Energiepolitik nur gemeinsam mit den europäischen Partnern zu lösen sind, darin waren sich alle Sondierer einig; viele Details müssten indessen noch geregelt werden, um die EU aus der gegenwärtigen Erstarrung zu lösen und zu einem dynamischen Staatenbund zu machen.
Nachbesserungen sind möglich!
Sowohl aus den Reihen der Union als auch der SPD werden Rufe laut, die Nachbesserungen der Sondierungsergebnisse fordern. Viele Wünsche, die auch bereits Eingang in die Programme zur Bundestagswahl im letzten Herbst Eingang fanden, konnten nicht berücksichtigt werden. Das Geben und Nehmen beider Seiten erfolgte nicht auf einer Einbahnstraße. Sonst wären vernünftige Kompromisse und umsetzbare Ergebnisse nicht möglich. So dürften bei den möglichen Koalitionsverhandlungen Nachbesserungen erforderlich werden. Wenn dazu bereits jetzt von einigen Forderungen aufgestellt werden, so hat dies nichts mit einem „Zwergenaufstand“ zu tun. Denn im Sondierungspapier fehlen noch einige Kapitel, Daten und Fakten sowie konkrete Ziele für die Politik der nächsten Jahre. Schließlich ist dies nicht schon das Evangelium, für die Ewigkeit festgeschrieben und somit endgültig.
Auf der Unionsseite sind vor allem aus Wirtschaftskreisen Befürchtungen lautgeworden, dass eine weitere Sozialdemokratisierung zu befürchten sei: Seitens vieler Teile der SPD zeichnen sich Nachforderungen etwa bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und beim Familiennachzug aus Kriegsgebieten ab. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), plädiert zwar für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union und strebt dabei ein Zweckbündnis an, „um Deutschland sozialdemokratisch zu gestalten“. Ob das wirklich auch dem Wunsch der Bürgerinnen und Bürger entspricht, darf mit Recht mit Blick auf die Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz und anderen Ländern sowie vor allem im Bund stark in Zweifel gezogen werden. Richtig ist jedoch, dass die SPD sich neu aufstellen muss; ihre Chancen dazu wären in einer gestaltenden Regierungskoalition allemal größer als in einer machtlosen Opposition.
Auch CDU muss Profil schärfen
Auch die CDU muss in den nächsten Jahren ihr Profil wieder deutlich schärfen. Ein parteipolitisches „Weiter so“ mit Angela Merkel an der Spitze würde jetzt noch einmal einen Erfolg des Kanzlerin-Wahlvereins bedeuten, doch wohl kaum die Renaissance einer großen Volkspartei, die die Mitte der Gesellschaft erreicht und rechts der Mitte Sektierern keinen Spielraum überlässt.
Die Hürden bis zu den Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD sind recht hoch. Martin Schulz wird die Ergebnisse der Sondierungsrunde am nächsten Sonntag auf einem SPD-Parteitag gut erklären müssen, um von seinen Genossen ein überzeugendes Votum für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu erhalten. Der Widerstand, den es dafür zu überwinden gilt, ist keineswegs gering. Angela Merkel und Horst Seehofer haben zwar grünes Licht von der CDU und CSU für eine Neuauflage der GroKo erhalten. Aber auch sie müssen den Mitgliedern und Wählern klarmachen, was dies für die Zukunft unseres Landes bringen wird. Nur noch einmal zur Kanzlerin gewählt zu werden, das dürfte dafür kaum ausreichen, zumal dies wohl das letzte Mal sein wird.
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