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Die SPD und ihre Nabelschau

Der Abstieg der SPD ist ja nicht gerade erst passiert, er verläuft seit Jahren, in immer größeren Schritten. Frei nach dem Witz: Man steht am Abgrund und der Fotograf, der ein Bild machen will, fordert einen auf, noch einen Schritt zurück zu treten. Gerade bei der Europa-Wahl ist die einstige Volkspartei auf unter 16 Prozent gesunken, und zwar fast überall. In Bonn konnte sich die alte Arbeiterpartei nur noch im Problembezirk Tannenbusch als stärkste Kraft behaupten. Sie verloren in Hamburg, Bremen, in Berlin, in Dortmund, ihrer einstigen Herzkammer, in München, Bonn  und Köln und und und. Und was macht die SPD? Sie beschäftigt sich mit ihrer Lieblingsarbeit, mit sich selbst. Wieder soll die Führung ausgewechselt werden, als gebe es keine anderen Sorgen.

Das ist es, was ich seit Jahren bei der ältesten deutschen Partei beobachte: Ihre führenden Leute, egal ob in der Kommune oder im Bund in Berlin, sie schauen auf die eigene Karriere, was die Menschen denken, wissen sie nicht mehr, was die vielen kleinen Leute fühlen, wo der Schuh drückt, ist der SPD weithin unbekannt. Und so kommt es, dass sie an den Interessen der Menschen vorbei Politik macht. Was heißt schon Politik? Sie kümmern sich um den Fortgang ihrer Karrieren, Hauptsache, ich komme weiter, der Rest ist mir doch gleich.

Stimmt nicht, Frau Nahles, Herr Schulz, Herr Gabriel? Dann gehen Sie doch mal raus und fragen die Leute auf der Straße, oder an ihrer Arbeitsstelle. Aber bitte fragen Sie sie ohne Fernsehen! Gehen Sie doch mal wieder raus in die Schrebergärten, machen sie Besuche bei Firmen und fragen deren Beschäftigte. Nein, nicht den Chef, fragen Sie den Hausmeister, die Frau im Großraumbüro, den Mann am Computer, fragen Sie sie, wie es ihnen geht, wie sie das Geld für die hohe Miete bezahlen, wie sie wohnen, was ihre Kinder machen und welche Sorgen sie haben. Kümmern Sie sich wieder mehr um ihre Mitmenschen und nicht mehr nur um sich selbst.

Was ist aus Gabriel geworden?

Ich bin kein Fan von Andrea Nahles, glaube auch nicht, dass sie die richtige ist auf den Chefsesseln der Partei und der Fraktion. Aber wenn ich höre, dass einer wie Martin Schulz, dieser Ritter von der traurigen Gestalt, sie beerben will als Fraktionschef, dann kann ich nur lachen. Mit welchem Recht beansprucht Schulz einen Führungsposten der SPD? Er hat doch die Bundestagswahl 2017 krachend verloren und wollte dann plötzlich Außenminister werden. Welch edler Mann! Erst der Verzicht, dann der Griff nach dem Job. So verliert man Vertrauen, Herr Schulz. Und seine Dementis nehme ich ohnehin nicht Ernst. Oder Sigmar Gabriel, von dem es vor vielen Jahren hieß, er sei der Mann nach Schröder, das war positiv gemeint: Gabriel als Ministerpräsident, als SPD-Parteichef, als möglicher Kanzler. Ein politisches Talent sei er, ist er gewesen, muss man sagen. Und was hat er daraus gemacht? Gibt es irgendwas, für das der Mann aus Goslar steht, und zwar nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen? Gibt es irgendetwas Verlässliches, was mit seinem Namen verbunden ist?Stänkern aus dem Hintergrund ist kein politisches Programm.  Was ist nur aus ihm geworden?

Überhaupt die Männer in der SPD. Sie haben in der Vergangenheit glorreiche Zeiten mit der Partei erlebt und die Partei mit ihnen: Mit Willy Brandt und Helmut Schmidt, Johannes Rau, Hans-Jochen Vogel, Gerhard Schröder.  Und wenn ich Schröder erwähne, gehört  eigentlich einer dazu, der die SPD  vor Jahren aus Ärger oder Wut über Schröder verlassen hat- ich meine Oskar Lafontaine. Das war ein schmerzlicher Verlust, den die SPD bis heute nicht verkraftet hat. Aber es gibt viele weitere Namen, die für die ruhmreiche Geschichte dieser Partei stehen: Ich verzichte bewusst auf die ganz alten Namen, auf die Bebels und Eberts, sondern erwähne ein paar andere wie Rudolf Dressler, den Sozialpolitiker der SPD, dessen Magen sich umdreht, wenn er an den aktuellen Zustand seiner Partei denkt. Mein Gott, was haben die aus der SPD gemacht?! Ich nenne noch Franz Müntefering, Kurt Beck, Frank-Walter Steinmeier, den Bundespräsidenten. Mir fielen Gewerkschafter ein, die zugleich Sozialdemokraten sind oder es waren. Aber lassen wir das, es wird einige Leser langweilen.

Kampf um soziale Gerechtigkeit

Gerade feiern wir landauf landab 70 Jahre Grundgesetz. Am Zustandekommen dieses wirklich einzigartigen Werkes waren viele Sozialdemokraten beteiligt, darunter Carlo Schmid, der frankophilen Politiker und einer der 61 Väter des Grundgesetzes. Es waren vier Frauen dabei, als das Fundament der Republik auf den Trümmern des Landes gebildet wurde, darunter zwei Sozialdemokratinnen: Elisabeth Selbert und Friederike Nadig. Sie setzten gegen heftigen Widerstand  Artikel 3, Absatz 2 durch: „Männer und  Frauen sind gleichberechtigt“.  Ich weiß, es hat noch Jahrzehnte gedauert, bis mehr daraus wurde für die Rechte der Frauen, ich weiß, der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen dauert an, was die Rechte der Frauen im Beruf betrifft, deren Gleichstellung, wenn es um Direktoren geht, um bessere Bezahlung. Wo sind die Frauen in der SPD, die sich zerreißen für die Rechte, die gleichen Rechte von Frauen und Männern? Von diesem Kampf ist nichts zu spüren, es ist nichts zu hören von Nahles und Co.

Grün ist auf dem Vormarsch, in vielen Ecken des Landes sind die Grünen stärkste Partei geworden, nimmt man die Altersgruppen bis 50, ist die SPD auf Platz 3 abgesackt. Wegen des Klimawandels? Mag sein, aber das ist es nicht allein.  Sie sind aus dem Rennen um die Pole-Position, weil sie nicht mehr präsent sind, weil sie nicht mehr zu hören sind, wenn es um die aktuellen Themen geht. Gut, der Klmawandel mag das heiße Thema der jungen Leute sein, der Bewegung Friday for Future, aber wenn das so ist, warum ist die SPD nicht dabei? Hat sie keine jungen Köpfe mehr, keine Schülerinnen und Schüler und Studenten, die sich für die Sache der Sozialdemokratie erwärmen? SPD, das ist Solidarität, Kampf um soziale Gerechtigkeit, um Frieden, gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus. Schon vergessen, wer gegen die Nazis gekämpft und sein  Leben gelassen hatte? Viele Sozialdemokraten waren unter den Opfern. Wo ist die SPD heute im Kampf gegen Rechts, gegen die AfD, gegen deren Vorfeldorganisation von Pegida, die für Freemdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Spaltung der Gesellschaft steht, die mit Neonazis paktiert? Es fehlt nicht an Themen für die SPD, aber sie packt sie nicht an, sie schaut nur auf sich.

Überall nur grün, grün

Grün, grün, grün soll der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet in der Vorstandssitzung der CDU in Berlin gestöhnt haben. Überall nur grün sieht dieser NRW-Ministerpräsident, der als ein Freund der Grünen gilt, der mal zur Pizza-Connection gehörte. Aber bleiben wir bei der SPD, dem größten Sorgenkind dieses Landes. Als Gerhard Schröder Kanzler wurde 1998, gewann die SPD über 40 Prozent der Stimmen, als er 2005 die Wahl gegen Angela Merkel hauchdünn verlor, hatte die SPD noch über 34 Prozent der Stimmen. Heute ist mehr als die Hälfte  dieser Stimmen bei politischen Mitbewerbern der SPD gelandet, vor allem bei den Grünen. Über eine Million Stimmen haben das Lager der SPD jetzt bei der Europa-Wahl verlassen und sind ins Grüne gewechselt, haben das Alte gegen das Moderne eingetauscht. Die Grünen haben das bessere Personal, höre ich, sie sind jünger, dynamischer, repräsentieren den Zeitgeist, leben den Lifestyle,  sie sind der Klimawandel schlechthin. Einer steht für alle andere: Robert Habeck, dem die Medien zu Füßen liegen und ihn am liebsten hochschreiben möchten zum nächsten Kanzler. Es stimmt, Habeck und die anderen Führungspersonen der Grünen sind präsent, sie sind nicht mehr die Partei der Verbote, sie gehen zum Lachen auch nicht mehr in den Keller, sondern lächeln die Probleme weg, sie zeigen offen ihre Freude, machen Party, wo andere im Jammertal ergrauen. Sie zeigen keine Angst mehr vor der Zukunft, sondern scheinen sie offensiv anzugehen. Wir die Grünen, könnte man meinen, sie haken sich unter, stehen zusammen, kein Streit mehr unter den Führungsleuten, man ist sich einig. Zumindest ist das der Schein. Selbst die Alten der Grünen, die Fischers, Trittins und wie sie heißen, schauen dem Treiben ihrer Nachfolgerinnen und Nachfolger eher staunend und fast bewundernd zu.

Und die politische Konkurrenz, allen voran die SPD verfolgt den Marsch oder soll man besser sagen den Sprung der Grünen  an die Spitze mit Schweigen, weil sie keine Antworten haben. Dabei gäbe es Fragen nach dem Klimawandel. Der ist ja ein dicker Brocken, wenn er gemeistert werden will. Denn er bedeutet, wenn er erfolgreich seinwill, Verzicht, Veränderung vieler Lebensgewohnheiten. Klimawandel wird wehtun, wenn er wirklich angepackt wird. Eine klimafreundliche Republik lässt sich nicht durch Sonntagsreden herbeiführen, wir brauchen Ersatz für Atom, für Kohle, für Gas, die Sonne scheint nachts nicht, der Wind weht nicht immer. Und für die neuen Trassen müssen erstmal Genehmigungen her. Schon bilden sich Protestgruppen, weil die Trassen die schönen Landschaften zerstöre. Und was  ist mit Kabel? Vorsicht, Kabel ist  sehr teuer. Und selbst gegen Kabel macht sich Widerstand breit, weil die Bauern zustimmen müssen, wenn die Kabel unter die Erde ihrer Grundstücke verlegt werden sollen. Energiewende klingt gut, ist aber harte Arbeit. Die Politik müsste das Thema zu ihrem Thema machen, die Folgen aufzeigen, dafür werben. Billig-Flüge nach Mallorca sind eine feine Sache für den Urlauber, aber Fliegen verpestet die Luft. So ist das auch mit den Autos, deren Zahl von Jahr zu Jahr wächst. Sie alle verpulvern fossile Energie.

Menschen sorgen sich um Jobs

Wie kriegen wir das passend gemacht, dass sich Ökonomie und Ökologie vertragen, dass wir eine starke Wirtschaft haben, die aber nicht zu Lasten der Umwelt erfolgreich sein darf. Die Menschen haben doch jetzt schon Angst um ihren Job. Und wenn die Braunkohle eingestellt wird hier im Rheinland und in der Lausitz, wovon sollen die Menschen dort leben, wer besorgt ihnen Arbeit?

Was wird aus dem Verkehr, der uns täglich mehr und mehr Probleme schafft? Die Anzahl der Staus nimmt zu, aber wir kommen mit dem Bau von Autobahnen und Straßen nicht mehr nach. Der Schienenverkehr könnte Ersatz schaffen, aber es fehlen die nötigen Trassen, es fehlen die Züge, es fehlt der große Plan für das Umsteuern von der Straße auf die Schiene. Man stelle sich vor, wir würden den LKW-Verkehr auf die Schiene abwälzen können, was das für eine Erleichterung bedeutete. Aber fragen Sie mal die Lobbyisten der Transport-Wirtschaft? Oder lassen Sie uns reden über die Landwirtschaft, über ein Umsteuern hin zu einer umweltfreundlichen Landwirtschaft. Ich höre und sehe schon  die Proteste der Bauern.

Und dann müssten wir grundsätzlich reden über das Wachstum. Welchen Sinn macht es, wenn alles immer weiter wächst, wächst eine solche Wirtschaft nicht über die Kraft unseren Planeten hinaus? Was verkraftet der heute schon gebeutelte Planet noch? Wenn es stimmt, dass wir die Erde heute schon überfordern, dann müssten wir umsteuern, verzichten, weniger Fleisch essen, weniger Auto fahren, mehr das Rad benutzen, wir müssten weniger fliegen.

Weniger ist mehr, heißt eine Volksweisheit. Ist das die Konsequenz aus all den Forderungen nach Klimawandel? Die Politik, die Parteien, die Sozialdemokraten wie die Christdemokraten, um nur die alten Volksparteien zu nennen, müssen umlernen, umsteuern, sie müssen sich an die Spitze der Bewegung setzen, um den Wandel voranzutreiben. Tun sie es nicht, wird der Wandel sie vor sich hertreiben, bis sie am Abgrund stehen. Weit entfernt davon sind sie ja heute schon nicht mehr.

Bildquelle: Pixabay, geralt, Pixabay License

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


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