Jugendkultur

Streetcredibility – ehemals Volksnähe

Die alte Tante SPD schlittert in eine der tiefsten Führungskrisen ihrer Geschichte. Andrea Nahles hat unter dem Druck akuter Mobbing-Aktionen die Segel gestrichen. Sozialdemokraten sind eben auch „Spezialdemokraten“. Sie war die elfte Parteivorsitzende der einst großen Volkspartei, wenn man Franz Müntefering, der nach einem kurzen Interim nochmal den Vorsitz übernahm, nur einmal zählt.  Auch die CDU gerät nach der Klatsche bei der Europawahl leicht ins Schlingern.

Die Groko-Partner Union und SPD werden vom jüngsten Umfrageschock gebeutelt, der den Grünen Platz Eins in der Wählergunst knapp vor CDU und CSU verheißt. Das hat sich mit dem so genannten Band-Waggon-Effekt zu tun. Der besagt, dass kurz nach Wahlen die Zahl derer stark wächst, die es mit der siegreichen Partei halten wollen.  Nur verfliegt die Euphorie in der Regel genauso schnell wie der Karamellen-Regen bei den Rosenmontagszügen.

Die Vorstände beraten, wie das passieren konnte, dass die Union unter 30 Prozentpunkten und die SPD weit unter der 20-Prozentmarke landeten. „Die Defizite in der Klimapolitik“ lautet die einfache Antwort und die Auguren beschwören bereits wieder eine neue Zeit des Jungendprotestes ähnlich der APO in den 60er-Jahren. Die ebenso ungeschickte wie unglückliche Reaktion auf das Video des Youtube-Aktivisten Rezo, der mit einer langen Suada gegen Union und SPD kurz vor der Europawahl auf die Bühne der Politik kletterte, soll angeblich viele Jungwähler dazu bewegt haben, Grün zu wählen. Nüchtern betrachtet darf man zweifeln.

Natürlich hätten die Wahlstrategen der CDU mit einem guten Monitoring der sozialen Medien frühzeitig auf den meinungsstarken Beitrag des jungen Youtubers reagieren können. So verunglückte das Hin und Her über die Frage „Reagieren oder nicht und wenn ja, wie?“ und machte Rezo noch bekannter als er ohnehin schon war. Die Frage, wie viele der fast 14 Millionen Abrufer, das Opus bis zum Ende anschauten, stellt sich aber offenbar niemand. Um die Wirkung seriös beurteilen zu können, wäre aber die Verweildauer interessant. Schließlich konsumiert das jugendliche Youtube-Publikum gewöhnlich gerne die Video-Häppchen aus der großen Welt der Kuriositäten, der Mode und der Stars, die alles andere als hoch politisch sind. Lange Stücke wie Rezos Erfolgsbeitrag  zumal aus der Politik gelten gemeinhin als schwer verdaulich. Darin sind sich alle Experten der neuen Medien einig.

In diesem Zusammenhang ist immer wieder vom mangelnden Respekt der Politik vor der Jugend die Rede. Aber wie hätte die Politik ernsthaft mit Respekt einem Youtuber begegnen sollen, der bis zu jenem Video nichts zum politischen Diskurs der Gesellschaft beigetragen hatte und damit auch nicht klar gemacht hatte, dass er ernst genommen werden will.  Rezos größter Hit vor dem „Zerstörungs“-Video war ein Song über Spaß und Entspannung im Bällebad. Fünf Millionen Abrufe hatte dieses Stück. Dass seine Wirkung, sein Millionenpublikum in der Folge auf den Weg zu IKEA zu schicken, um im Bällebad des Kinderparadieses zu „chillen“, ist nicht bekannt.

Genau betrachtet reduziert sich die Erkenntnis aus diesem Hype um das Thema Klimaschutz samt Schulstreiks und Jugendbewegung darauf, dass die Jugend bei diesem ernsten Thema gerne schnelles Handeln und einfache Antworten hätte. Nur das kann Politik in einer Demokratie nicht liefern. Diskussionen, Abstimmungen, Risikoabschätzung, Interessenausgleich und Kompromiss gehören in diesem politischen System zum Entscheidungs-Alltag. Deshalb wirkt unsere Demokratie auf die Bürger oft wie ein zäher Prozess – ein langsam fließender Fluss. Das strahlt nur wenig Glanz und Glamour aus.

Für die Jugend, deren sprichwörtliche Ungeduld durch das drängende Problem des Klimawandels noch gesteigert wird, ist das verständlicher Weise zu tiefst unbefriedigend. Das ist der Nachteil unseres demokratischen Systems. Es liefert keine schnellen und einfachen Antworten! Was aber wäre die Alternative? Ein System in dem die Regierenden bestimmen, was für das Gemeinwohl richtig ist?  Den Rechtsweg für die betroffenen Bürger schließt? Und das vermeintlich Richtige – egal ob beim Bau von Stromleitungstrassen oder dem Bau neuer Kraftwerke – am Parlament und dem Rechtsstaat vorbei durchsetzt?

Das hatten wir schon einmal bis zur Befreiung von der Naziherrschaft vor 74 Jahren; – und die Deutschen in der DDR hatten das sogar noch 45 Jahre länger.

Die politischen Parteien, vor allem die, die sich als Volksparteien verstehen, müssen die richtigen Lehren aus dem Ergebnis der Wahlen zum Europaparlament ziehen. Dazu gehört, die Themen in den Vordergrund ihrer politischen Arbeit zu rücken, die zur Lebenswirklichkeit einer breiten Mehrheit gehören und nicht jedes Thema, das nur für kleine Gruppen der Gesellschaft von Interesse ist, zur Schicksalsfrage der Bundesregierung hoch zu stilisieren. Nur so wird es den Volksparteien gelingen, das zu gewinnen, was man neudeutsch „Streetcrediblity“ nennt und früher Volksnähe hieß.

 

Bildquelle: Pixabay, Free-Photos, Pixabay License

Erstveröffentlichung in Peter Hausmanns Blog „Hausmannskost“ am 5.6.2019

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Peter Hausmann ist Mitglied der 12. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule (DJS). und war Teilnehmer am ersten Modellversuch von DJS und Ludwig-Maximilians-Universität zur Journalistenausbildung. Anschließend war er als freier Journalist unter anderem für den Münchner Merkur und den Bayerischen Rundfunk tätig, wo er 1982 eine Festanstellung als Redakteur erhielt. Sein thematischer Schwerpunkt ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Neben der journalistischen Arbeit erhielt er mehrere Lehraufträge zu den Themen Interviewtechnik und Rundfunkjournalismus an der Deutschen Journalistenschule München, der Ludwig-Maximilians-Universität und an der Katholischen Universität Eichstätt. 1988 wurde Peter Hausmann kommissarischer Leiter der Wirtschaftsredaktion Hörfunk beim Bayerischen Rundfunk. Nach dem Tod von Franz Josef Strauß, Ende 1988, wechselte er zur CSU als Sprecher des CSU-Vorsitzenden, Bundesfinanzminister Theo Waigel. Ende 1992 kehrte er zum Bayerischen Rundfunk als Leiter der Wirtschaftsredaktion Hörfunk zurück. 1994 wurde Peter Hausmann Sprecher der Bundesregierung und Chef des Bundespresseamtes unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Bis Mai 1998 war er als beamteter Staatssekretär Mitglied der Bundesregierung in Bonn. Von 1998 bis 2005 war Peter Hausmann Partner der Wirtschaftsprüfungs-, Steuer- und Unternehmensberatungsgesellschaft Deloitte & Touche, und im November 2005 wechselte er als Partner zur PR-Agentur Pleon. Als Nachfolger von Peter Schmalz war er von 1. November 2008 bis 31. Oktober 2014 Chefredakteur der von der CSU verlegten Wochenzeitung Bayernkurier. Peter Hausmann ist Vorstandsmitglied des Ortsverbandes Laim-West der CSU.


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