Willy Brandt

Wer führt die SPD? Jedenfalls nicht die Vorsitzenden

Es gab Zeiten, da hatte die SPD eine Troika, die die älteste deutsche Partei führte. Da gab es einen Willy Brandt, den man schlicht die Lichtgestalt der Sozialdemokraten nennen konnte, aber es gab auch einen Helmut Schmidt, so etwas wie der andere Sozialdemokrat, nüchterner, härter als Brandt, den sie liebten in der Partei, während sie den Hamburger Schmidt schätzten. Und dann hatten sie zur gleichen Zeit noch einen Herbert Wehner, den alten Kommunisten, der der Moskauer Lehre aber abgeschworen hatte und ein eingefleischter Demokrat, ein Sozialdemokrat geworden war. Diese drei SPD-Politiker waren sich nicht immer einig, hinter den Kulissen haben sie sich ganz schön gefetzt. Und einer wie Wehner nahm sich dann sogar die Freiheit, die man auch Frechheit nennen konnte, heraus, und spottete über Willy Brandt am Rande eines Moskau-Besuchs: der Herr bade gern lau. Die drei waren sehr unterschiedlich, sehr verschieden, der eine ein Macher, der andere ein Visionär und der dritte war der Zuchtmeister der Fraktion, der den Laden zusammenhielt, notfalls auch zusammenschrie. Aber auf der Bühne waren sie sich einig, wenn es darauf ankam, zogen sie an einem Strang.

Wer in diesen Monaten der Corona-Krise über die SPD nachdenkt, dem fällt schnell ein, dass die Minister mit SPD-Parteibuch im 4. Kabinett von Angela Merkel(CDU) mehr als ordentliche Arbeit leisten. Das gilt für den Bundesfinanzminister Olaf Scholz, das trifft auf den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zu, Anerkennung hat sich in der Groko auch die Bundesfamilienministerin Franzsiska Giffey erworben, während die anderen Minister im Vergleich dazu abfallen: der Bundesministerin des Äußeren, Heiko Maas, ist blass geblieben, auch wenn das Amt es geschafft hat, mitten in der Corona-Krise eine Viertelmillion deutscher Urlauber aus aller Welt heimzuholen. Aber ansonsten kann ich keine Spuren erkennen, die er hinterlassen hat, weder in seiner Rußland-Politik noch in seiner Europa-Politik. Auch die Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat bisher ziemlich enttäuscht.

Scholz allein schafft es nicht

Seit Anfang Dezember hat die SPD eine neue Führung, sie hat sie sich gewählt in einer Abstimmung der Mitglieder. Überraschend war die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, weil da zwei in Berlin unbekannte Politiker plötzlich an der Spitze der SPD standen, während ein bekanntes Gesicht wie das von Olaf Scholz einigermaßen bedröppelt die Niederlage hinnehmen musste. Ich gebe ja zu, den Sieg vor allem von Walter-Borjans erwartet zu haben, nicht allein, weil die Jusos mit ihrem Chef Kevin Kühnert Wahlkampf gemacht hatten für die Neuen, sondern weil ich der Meinung war, eine Wahl von Scholz zum SPD-Chef wäre als Signal des Weiter-So gewertet worden, Weiter-So auch in Prozenten bei den Umfragen, also als Verbleib im Keller.

Heute muss ich einräumen, dass die Neuen an der Spitze der SPD auf ganzer Linie enttäuscht haben. Sie kommen so gut wie nicht vor, sie finden in Berlin nicht statt, man hört nichts von ihnen. Gelegentlich frage ich mich: Ja, gibt es die SPD-Vorleute Eskens und Walter-Borjans überhaupt noch? Sie haben es nicht geschafft, ihre Themen zu setzen, die Stimmung zu drehen, die für die SPD weiterhin einfach schlecht ist. Die CDU Merkels profitiert von der Krise, die Union ist in Umfragehöhen geklettert fast wie in besten Zeiten, sie kratzt an der 40-vh-Marke, während die SPD irgendwo im Niemandsland bei 15 bis 17 Prozent verharrt. Von Aufschwung keine Spur. Und das, wo doch ein Großteil der SPD-Minister im Kabinett Merkel fast täglich auf der Bühne steht und die Erfolge der Groko verkündet. Die Exekutive profitiert von der Krise, heißt es, sie hat es in der Hand und kann punkten, weil sie Politik macht, Gesetze, die den bedrängten Menschen helfen, den Arbeitern wie den Arbeitgebern. Die Regierung Merkel steht wie eine Eins, schultert dicke Euro-Pakete für Gott und die Welt, Scholz darf sie meist vermelden, was er gekonnt macht, ruhig, nicht nervös, sondern souverän. Doch den Gewinn fährt die Kanzlerin ein, Woche für Woche.

Dabei befinden wir uns in einer Zeit, da Solidarität angesagt ist, Gemeinsinn statt Egoismus, ein starker Staat und kein neoliberales Gebilde, das die Millionäre noch füttert, es wird gefordert ein gut ausgestattetes Gesundheitswesen, Pflegekräfte und Krankenschwestern erhalten nicht nur Beifall für ihre Arbeit, sie sollen auch endlich mehr Geld bekommen. Gefragt sind Kassiererinnen bei Rewe, Edeka, Aldi und Lidl, die Verkäuferinnen beim Bäcker, der LKW- und Busfahrer, der kleine Mann hat, wenn man so will, einen Lauf, die Grünen sind abgestürzt in der Gunst der Wählerinnen und Wähler wie auch die FDP, auch die rechtsradikale AfD ist runter von ihrem Höhenflug. Aber die SPD konnte davon nicht profitieren.

Mit Mützenich, Weil, Schwesig,

Sie konnte und kann davon nicht den Gewinn abschöpfen, weil sie keine klare Führung hat. Ein Olaf Scholz wird lernen müssen, dass Alleingänge nicht viel bringen. Man fragt sich ja, warum er seinen Vorstoß, mit einem Milliarden-Euro-Programm die verschuldeten Städte in Deutschland zu entschulden und den durch Corona in Schwierigkeiten geratenen Kommunen zu helfen, nicht abgestimmt hat mit dem Koalitionspartner CDU, nicht mit Merkel, nicht mit Söder. Also gibt es Streit, der nicht sein muss, stockt ein Hilfsprogramm, das gut gewesen wäre. Scholz muss begreifen, dass er sich die Bühne mit anderen Sozialdemokraten teilen muss, um Erfolg zu haben. Er wird es allein nicht schaffen, er braucht eine starke SPD hinter sich, er sollte nicht länger so tun, als könne er allein das alles wuppen. Dazukommen muss ferner der angesehene Fraktionschef Rolf Mützenich, der seine Qualitäten als Chef der Bundestags-Fraktion längst bewiesen hat. Mützenich, Scholz und die anderen SPD-Minister in der Bundesregierung, die beiden SPD-Chefs im Willy-Brandt-Haus, vielleicht noch die SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil, Manuela Schwesig, Malu Dreyer, sie alle müssen ein Team bilden, mit einer Zunge sprechen. Dann kann es was werden mit einem Aufstieg der SPD. Aber nur dann, wenn man bürgernah ist, die Probleme der Menschen im Auge hat und nicht die eigene Karriere, wenn die Leute spüren, dass man sich ernsthaft um sie kümmert, um ihre Arbeitsplätze, ihre Renten, die Bildung und Ausbildung ihrer Kinder.

Dass Olaf Scholz der Favorit ist, wenn es darum geht, einen Kanzlerkandidaten der SPD zu küren, habe ich in diesem Blog schon mal geschrieben und will es gern wiederholen. Die Chance ist da, zumal Angela Merkel nach 16 Jahren nicht mehr antritt und die Union mit einem neuen Gesicht in den Wahlkampf gehen muss- ohne Amtsbonus. Man konnte gerade in der Corona-Krise erleben, wie schwer sich ein Armin Laschet tut auf der bundespolitischen Ebene. Düsseldorf ist eben nicht Berlin, wo ein schärferer Wind weht. Die SPD hat eine Chance auf einen Neubeginn, mit Olaf Scholz kann es gehen, wenn alle mitziehen, wenn niemand aus der SPD ausschert. Wenn Solidarität geübt wird, eine Tugend aus der ruhmreichen Geschichte der Partei.

Bildquelle: Wikipedia, Bundesarchiv, B 145 Bild-F066928-0012 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


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